Macht in der römisch-katholischen Kirche.
Vortrag an der Katholischen Akademie Freiburg, am 10.11. 2023
Vor sechs Jahren war ich alt und naiv und wählte für mein lila Buch namens Weiberaufstand den Untertitel "Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen”. Das “mehr" hätte ich mir schenken können, aber das nur nebenbei. Jedenfalls habe ich nicht damit gerechnet, dass EIN Wort noch mehr Allergien auslöst als das Wort Weib: das Wort Macht. Und zwar in verschiedenen kirchenpolitischen Lagern.
Das Wort Macht auf dem Cover war in etwa so, als hätte ich in einem veganen Café auf die Frage, was den Cappuccino toppen soll, laut herausgeschrien: “Ich will Milch von ausgebeuteten Kühen aus Käfighaltung!” Alle sitzen da mit Hafer-, Reis- und Mandelmilch und schauen einen entgeistert an. Kuh gibt es hier nicht. Die spinnt.
In dem lila Buch wird die verwegene Behauptung aufgestellt, dass in der römisch-katholischen Kirche Macht ausgeübt wird und die sogenannte Frauenfrage eine Machtfrage ist.
Wenn Sie einen Machtverdacht äußern, passiert folgendes. Der Erste sagt: Die ist doch gar keine Theologin! Darf die das?
Der zweite aus dem rechtsgläubigen Milieu mischt sich ein und zitiert Joseph Ratzinger: „In der Kirche gibt es keine Macht, allenfalls Vollmacht.“ Und – der Klassiker: „Alle Macht ist Dienst.“
Als drittes folgen Rezension in mittelkatholischen Kirchenzeitungen. Da steht dann: Um Macht sollte es uns – wer immer das auch sein mag - nun wirklich nicht gehen, weder Frauen noch Männern. Schließlich lassen kampferprobte Feministinnen, die schon seit der Würzburger Synode den Diakonat auf Forderungskataloge schreiben, wissen: Frauen haben dieses Männerding Macht gar nicht nötig, die haben eigene Charismen, eine eigene weibliche Spiritualität.
Was diese spezifisch weibliche Spiritualität sein soll, weiß ich bis heute nicht. Ich verspüre sie nicht. Während die Herren den Priesterkragen richten, formieren sich Frauen zum liturgischen Tanz in Filzsocken, ist sowas vielleicht gemeint?
Draußen nur Schäumchen
Vollmacht, Dienst, Charisma – das ist die römisch-katholische Version von Mandelmilch, Reismilch, Sojamilch. Sanft und gut und aufschäumbar in der Barista-Variante erhältlich.
Macht wird inszeniert, in der Liturgie, in der Architektur der Kathedralen, in den Gewändern. Aber zu glauben ist: Prunk, Pracht und phallische Türme erheben nicht dem Priester, den Bischof oder den Papst über das gemeine Kirchenvolk. All das Spitzenmäßige dient Gott, dem All-Mächtigen. Macht, Allmacht, gebührt nur dem Allerhöchsten.
Ich bin natürlich nicht die erste, die das nicht glaubt. Aber Machtanalysen waren viele Jahre unter der Ladentheke versteckt, Bückware. Ein theologisches Tetrapack mit der Aufschrift „Kuhmilch aus vermachteten Verhältnissen“ ist mir nicht begegnet.
In der Politikwissenschaft ist es verbreitet, dass man auf Bücher draufschreibt, was drin ist. Wenn ein Buch „Regierungslehre der Bundesrepublik“ heißt, erfährt man einiges darüber, wie Macht verteilt und wie Gewalten geteilt sind. Naiv wie ich 2016/17 war, suchte ich bei der Vorarbeit zum Weiberaufstand etwas Theologisches mit einem ähnlichen Titel: “Das Regierungssystem der römisch-katholischen Kirche”. Die Ausbeute war nahe null, natürlich fand sich etwas bei Hans Küng und in Eugen Drewermanns “Klerikern”, in manchen Büchern fand ich etwas zwischen den Zeilen.
In der Gastronomie gab es eine Weile die Mode, alles zu Schaum zu verarbeiten und das Espuma zu nennen. Als ich Bücher las über das Amt und die Weihe musste ich an Espuma denken. Viel aufhübschendes Schäumchen, aber darunter keine Beschreibung institutioneller Härten. Das könnte zwei Gründe haben: Offenbar ist auch die Theologie davon überzeugt, dass die Kirche anders ist, besser, edler, als ein profanes Staatsgebilde.
Wegspiritualisieren ist Macht
Oder aber es ist riskant, als Theologin oder Theologe Macht-Analyse zu treiben und das auch so zu nennen - womöglich hat das mit vermachteten Verhältnissen zu tun. Was es nicht geben darf, darf ich nicht untersuchen. Die Kirchenrechtlerin Judith Hahn schreibt in ihrem Buch “Kirchenrechtsoziologie“ treffend: "Wer Machtstrukturen hinwegtheologisiert, erschwert es den Kirchengliedern, sie zu identifizieren und strukturelle Machtasymmetrien zu kritisieren.“
Wenn Macht verleugnet wird, wenn bestritten wird, dass sie da ist und unkontrolliert ausgeübt wird, führt das dazu, dass Gebrauch und Missbrauch von Macht nicht unterschieden werden können. Auch charismatische Herrschaft ist Herrschaft, das wusste schon Max Weber. Macht wegzuspiritualisieren ist brutal. Denn wer Machtmissbrauch erlebt, hat keine Sprache dafür und findet auch keinen, der Wörter und Stimme gibt.
1. Regierungssystem römisch-katholische Kirche im Schnelldurchlauf:
Stände und Standing
Die römisch-katholische Kirche ist zwar kein Staat, aber lässt sich politikwissenschaftlich als absolute Monarchie beschreiben, mit einem Papst an der Spitze. Der verfügt seit 1870 über einen Jurisdiktionsprimat. Das war damals ein moderner Einfall im Dienste des Anti-Modernen. Der Dogmatiker Michael Seewald bemerkt in seinem Buch „Reform“ ironisch-anerkennend mit Blick auf diese Neuerung: „Ihr Ziel bestand darin, dem Papst jene Vollmachten und jene Autorität zu geben, die er brauchte, um der Moderne und ihrem Entscheidungsdruck in strategischer Weise gerecht werden zu können, ohne der Moderne normativ mit ihrem Fokus auf der religiösen Entscheidungskompetenz des Einzelnen entsprechen zu müssen.“ Etwas einfacher ausgedrückt: Einer spricht für alle, einer entscheidet für alle. Katholisch, praktisch, päpstlich.
Diese absolute Monarchie basiert auf einer ständischen Ordnung. Der Klerus ist der höhere Stand.Er ist nicht nach unten verantwortlich, sondern wird von oben berufen. Der höhere Stand hat Macht im Sinne von Entscheidungsbefugnissen und Gestaltungsspielräumen. Zugang zum höheren Stand haben nur Geweihte, die Weihe ist ans männliche Geschlecht(steil) geknüpft.
Der niedere Stand besteht aus ungeweihten Frauen und Männern. Frauen können aufgrund ihres spezifischen weiblichen Wesens niemals in den höheren Stand aufsteigen. Ob sie standesgemäße, katholische Frauen sind, welchen Platz sie einnehmen dürfen, entscheiden geweihte Männer. Verlassen sie den ihnen zugewiesenen Platz, fallen sie vom Laien-Stand in den Stand der Unsortierten und Ungeordneten.
Dort, ganz unten, befinden sich all jene, die zwar getauft sind, aber deren Sexualität per se als ungeordnet gilt oder die im Zustand dauerhafter Sünde leben. Der Klerikerstand kann ihnen entweder mit Verachtung und Strafe oder mit Barmherzigkeit begegnen. So gesehen ist es ein Stand der Gnade.
Kleriker sind natürlich auch nicht alle gleich. Bischöfe sind in dieser absoluten Monarchie die Könige unter dem Papst-Kaiser. Sie heiligen, lehren und leiten in ihrem Reich, die Legitimation für diese Herrschaft beziehen sie von Papst und von dem, den der Papst vertritt. Die Könige werden aber nicht König genannt, auch nicht Herrscher – der Herrschertitel ist Christus vorbehalten. Sie heißen Hirten. An diesem Punkt der Beschreibung kommt die Politikwissenschaft an ihr Ende. Die Hirten führen Schafe.
Vierbeiner werden Zweibeiner
Wen der Ruf ereilt, wird vom Schaf zum Hirten, vom Vierbeiner zum Zweibeiner, wie die Erfurter Dogmatikprofessorin Julia Knop so schön in der Laudatio zum Dirks-Preis sagte. Da kommt dann auch die Biologie an ihr Ende.
Gemeinhin klären Verfassungen wie Macht verteilt, legitimiert und kontrolliert wird. Eine Kirchenverfassung gibt es nicht, aber immerhin gibt es das Kirchenrecht, seit 1917 kodifiziert im CIC. Im Kirchenrecht ist viel vom Dienst die Rede, von Verkündigungsdienst und Heiligungsdienst, Dienst am Wort Gottes und Dienst an der Kirche spricht der CIC. In Can. 154 §1 heißt es: „Kirchenamt ist jedweder Dienst, der durch göttliche oder kirchliche Anordnung auf Dauer eingerichtet ist und der Wahrnehmung eines geistlichen Zweckes dient.“ Substantiv und Verb, Doppeldienst also.
Nur Schäumchen schlägt das Kirchenrecht nicht auf. Zentral sind Begriffe wie Gewalt, Vollmacht und Befugnis. Bischöfe sind mit einer umfassenden Leitungsgewalt ausgestattet, sakramental, juristisch und administrativ. Sie setzen Recht und sprechen Recht. Sie weihen Priester, die ihnen wiederum Gehorsam versprechen. Can. 129 § 1 besagt: „Zur Übernahme von Leitungsgewalt, die es aufgrund göttlicher Einsetzung in der Kirche gibt und die auch Jurisdiktionsgewalt genannt wird, sind nach Maßgabe der Rechtsvorschriften diejenigen befähigt, die die heilige Weihe empfangen haben.“ Der CIC schweigt dazu, welche Fähigkeiten mit der Weihe auf einen Mann übergehen, Führungsqualitäten fallen vom Himmel.
Auch Diener herrschen
Gewaltenteilung ist in diesem System nicht vorgesehen. Gegen eine als ungerecht empfundene Entscheidung des Bischofs lassen sich keine Rechtsmittel einlegen. Individuelle Abwehrrechte sind diesem System auch fremd. Wenn gegen Kirchenrecht verstoßen wird, dann ist die Kirche das Opfer, nicht der oder die Einzelne.
Die römisch-katholische Kirche hat Denker zu Machtanalysen inspiriert. Michel Foucault zum Beispiel, auch Max Weber analysiert die - wie er es nennt - Kaplanokratie. Unschlagbar unbeeindruckt von der Schaumschlägerei sagt Max Weber zum Thema Dienst: „Dass Leiter und Verwaltungsstab eines Verbandes der Form nach als ,Diener‘ der Beherrschten auftreten, beweist gegen den Charakter als ,Herrschaft‘ natürlich noch gar nichts“. Er bezieht das auf einen Verband, aber sagt damit ganz allgemein: Wenn sich diejenigen, die oben sind, als Diener bezeichnen, ist Skepsis angebracht.
2018 mit der MHG-Studie zu sexualisierter Gewalt wurde aus dem Machtverdacht Gewissheit. Da steht schwarz auf weiß im Auftrag der Bischofskonferenz, dass in der römisch-katholischen Kirche Macht ausgeübt wird, dass durch die Weihe eine Machtgefälle entsteht, dass sexuellem Missbrauch Machtmissbrauch vorausgeht.
Interessant war bei der Vorstellung der Studie die Reaktion der in Fulda vollversammelten Könige, Pardon: Hirten. Selbst sie nahmen überrascht zur Kenntnis, dass es Macht gibt und überboten sich im Angewidertsein vom Klerikalismus, dem sie ihren Aufstieg verdanken.
Die Fortsetzung kennen Sie. Es gab den Synodalen Weg, da bekam das Thema Macht ein eigenes Forum namens "Macht, Partizipation und Gewaltenteilung". Darin waren auch Leute zu finden, die ein Jahr zuvor nur Dienst gesehen hatten, das hat mich nicht wirklich erstaunt. Opportunisten sind immer noch besser als Ideologen.
„Macht glänzt durch Abwesenheit“, schreibt der Philosoph Byung Chul Han in seinem Essay “Was ist Macht?”. Mächtig ist, wer es nicht nötig hat, über Machtverhältnisse zu sprechen, wer es nicht
„Macht glänzt durch Abwesenheit“, schreibt der Philosoph Byung Chul Han in seinem Essay “Was ist Macht?”. Mächtig ist, wer es nicht nötig hat, über Machtverhältnisse zu sprechen, wer es nicht
nötig hat, den verantwortungsvollen Gebrauch vom Missbrauch zu unterscheiden. Die Frage ist, ob die römisch-katholische Kirche noch glänzt.
2. In Sachen Demut macht uns keiner was vor: Von Ämtern, Mützen und Verantwortungsverdunstung im Dienst
Rückblick ins Jahr 2005. Angela Merkel wurde Bundeskanzlerin, Joseph Ratzinger Papst. Angela Merkel hat, nachdem sie gewählt worden war, natürlich nicht gesagt: “Jetzt bin ich mächtig und ich freu mich drauf”. Die Eidesformel lautet: “Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde."
Man hört: Kanzler*in ist ein Kraftamt. Wer diese Eidesformel spricht, hat Gestaltungskraft, Wirksamkeit, Richtlinienkompetenz und zugleich auch Rechenschaftspflicht.
Man stelle sich mal vor, Angela Merkel hätte 2005 gesagt: Ich bin nur eine kleine Magd in der Suppenküche der Demokratie.
Ein deutscher Kardinal war einige Monat zuvor ins höchste Amt gewählt worden. Benedikt XVI. stellte sich, kaum zum absoluten Monarchen gewählt, im April 2005 den Massen auf dem Petersplatz als "einfacher Arbeiter" im Weinberg des Herrn vor, gegenüber der Presse sprach er von einem "Fallbeil“, das mit der Wahl zum Papst auf ihn herabgesaust sei. Es gab dafür freundliche Lacher und Applaus. Dabei heißt das doch: “Ich bin zwar der Höchste, sitze auf einem goldene Stuhl, kann mit einem Federstrich alles allein entscheiden, aber in Sachen Demut macht mir keiner was vor!" Das meine ich mit Demutsgigantismus.
Demut, derart öffentlich zur Schau gestellt, ist ein Widerspruch in sich. Man kann auch einfach schweigen.
Demutsgigantismus ist allerdings nicht allein eine Frage der persönlichen Disposition. Dass Machtversessenheit mit einem Spitzendeckchen verhüllt wird, ist systemisch. Kurz bevor das Unfehlbarkeitsdogma beschlossen wurde, 1870, sagte Papst Pius IX. in einem Disput mit einem Jesuiten: “L’Eglise, c’est moi.” Die Kirche bin ich. So berichtet es Hubert Wolf in seinem Buch über Unfehlbarkeit. Ziemlich machtbewusst, ziemlich absolutistisch, ziemlich anti-modern - und ziemlich ehrlich.
Mittlerweile geht das so nicht mehr. Der modern-antimoderne römisch-katholische Monarch darf unter den Augen der Medien keinesfalls eingestehen, dass er diesen Spitzenposten angestrebt hat – obwohl es bekanntermaßen einen Wahlkampf im Konklave gibt.
Wegducken im Dauerdienst
“Kraft meines Amtes” - Joseph Ratzinger war perfekt darin, es so erscheinen zu lassen, als habe er keines seiner höchsten Ämter gewollt, als sei er am liebsten Professor in der Schreibstube geblieben. Als Ratzinger regierte, waren in den großen Medienhäusern Feuilletonkatholiken tätig, die diese Legende permanent weiterklöppelten. Und das, obwohl jeder wusste, dass dieser Mann zum Beispiel Kraft seines Amts als Präfekt der Glaubenskongregation Theologenkarrieren verhindert und beendet hat, weil er als Kirchenfunktionär durchsetzen konnte, was er für katholisch hielt und vor allem: was nicht.
Die putzige Selbstbeschreibung als kleiner Arbeiter hat vor allem da eine brutale Kehrseite, wo es um sexualisierte Gewalt geht. Bis an sein Lebensende hat der "Mitarbeiter der Wahrheit" keine Verantwortung übernommen dafür, dass Betroffene eiskalt abserviert, Täter versetzt und befördert, Aufklärung und Aufarbeitung verhindert wurde. Er war ja nur ein einfacher Arbeiter.
Am 8. Februar 2022 erklärte er: “Bei all meinen Begegnungen vor allem auf mehreren Apostolischen Reisen mit von Priestern sexuell missbrauchten Menschen habe ich den Folgen der übergroßen
Schuld ins Auge gesehen und verstehen gelernt, daß wir selbst in diese übergroße Schuld hineingezogen werden, wenn wir sie übersehen wollen oder sie nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Verantwortung angehen, wie dies zu oft geschehen ist und geschieht. Wie bei diesen Begegnungen kann ich nur noch einmal meine tiefe Scham, meinen großen Schmerz und meine aufrichtige Bitte um Entschuldigung gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck bringen. Ich habe in der katholischen Kirche große Verantwortung getragen. Umso größer ist mein Schmerz über die Vergehen und Fehler, die in meinen Amtszeiten und an den betreffenden Orten geschehen sind.”
„Vergehen und Fehler“ sind geschehen, in übergroße Schuld werden wir – wer immer das auch ist – hineingezogen. Einmal spricht er von Verantwortung, um dann wieder im Ungefähren zu laden. Angesichts der Machtfülle wäre ein Satz angebracht gewesen von der Sorte: “Ich hätte an all meinen verschiedenen Positionen die Macht gehabt, das Leid von so vielen zu verhindern. Ich hätte mich um Aufklärung und Gerechtigkeit bemühen können, ich habe es aber nicht getan.”
Ein solcher Satz mit "Ich" und "Macht" geht einem Papst nicht über die Lippen. Statt dessen: "Ich war’s nicht." Das Brutale daran ist: Wer Opfer wird von Missbrauch, von Machtmissbrauch, findet niemanden, der Verantwortung übernimmt, nicht persönlich, nicht repräsentativ. Kein Satz von der Sorte: "Ich bin die Kirche, und deshalb muss ich herausfinden, was war. Ich versuche, Gerechtigkeit herzustellen."
Verantwortungsverdunstungsbetrieb nenne ich das. Das klingt lustig, aber für Betroffene ist es bitterernst, wenn die mit der Mütze sich wegducken, weil sie angeblich als Dauerdiener anderen die Füße waschen müssen. In einem hierarchischen System gibt es oben und unten, die da oben haben alle Entscheidungsmacht, die unten haben sie nicht.
Keiner Macht Karriere
Verantwortungsverdunstungsbetrieb nenne ich das. Das klingt lustig, aber für Betroffene ist es bitterernst, wenn die mit der Mütze sich wegducken, weil sie angeblich als Dauerdiener anderen die Füße waschen müssen. In einem hierarchischen System gibt es oben und unten, die da oben haben alle Entscheidungsmacht, die unten haben sie nicht.
Ein anders Bespielt für Demutsgigantismus: Das berühmte Schreiben: “Ordinatio Sacerdotalis” von Johannes Paul II., veröffentlich am Pfingsttag 1994. Das Datum sagt schon: Hier spricht nicht der Papst, hier spricht der Heilige Geist. Das Verbot der Frauenordination ist ein Machtwort. Aber es muss im Gestus der Ohnmacht vorgetragen werden. Basta kann schließlich jeder. Johannes Paul II. Schreibt jedoch nicht: Ich habe entschieden: Nein und Amen. Sondern er schreibt: Die Kirche ist nicht befugt, Frauen zu Priestern zu weihen. Auch das ist eine Form von “Ich war’s nicht”. Der Mann an der Spitze handelt nicht selbst, er wird gehandelt, als Werkzeug des Allmächtigen.
Kleriker stellen Allergie, ja Abscheu gegen das M-Wort zur Schau. Einen eigenen Willen durchsetzen? Herrschaftssystem Kirche? Um Gottes Willen! Wer so spricht, verkennt die göttliche Stiftung. Kein Bischof, der gewählt wird, sagt: Ich habe eine glänzende Karriere hingelegt, jetzt kann ich endlich durchsetzen, was ich mir schon beim Messespielen im Wohnzimmer vorgenommen habe. Ein geweihter Mann darf nicht nach Leitungsgewalt streben. Die Leitungsgewalt strebt zum Manne. Ich war’s nicht – das ist systemisch.
Warum das so ist, dürfte mit einem bekannten Satz aus dem Evangelium zu tun haben:
3. „Bei euch aber soll es nicht so sein“.
Die Welt der Macht ist die Macht der Welt
Mein peinlichstes Buch heißt: „Vitamin K“, es ist hier in Freiburg entstanden, teilweise auf einem weißen Ledersofa im Hause von Robert Zollitsch. Es ist ein Interviewbuch mit dem damaligen Erzbischof von Freiburg und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und dem damaligen ZDK-Vorsitzenden Alois Glück. Peinlich ist es mir zum einen deshalb, weil ich ständig “Herr Erzbischof” sage, zum anderen, weil mich für kritisch hielt, aber nicht damit rechnete, angelogen zu werden, ohne es zu merken.
An einer Stelle sprechen wir über den Unterschied zwischen Kirche und Politik. Robert Zollitsch sagt: “Bischöfe sollten menschlicher miteinander umgehen als Politiker. Der Anspruch an uns ist höher. Dem stellen wir uns auch”. Alois Glück, der viel Erfahrung in der CSU gesammelt hatte, erzählt von harten politischen Auseinandersetzungen, davon, dass Menschen niedergemacht wurden. Er sagt aber auch, er empfinde die innerkirchlichen Auseinandersetzungen als härter als in der C-Partei, weil eben in der Politik aufgrund von Gewaltenteilung, Transparenz und Kontrolle dann doch nicht alles möglich sei. Es gebe letztlich immer die Angst, dass die miesesten Intrigen raus kommen, so Alois Glück.
Heute wissen wir aus dem Freiburger Gutachten, dass der Erzbischof von Freiburg ein Machtmensch war, dass er diese Macht genutzt hat gegen Betroffene, für den Schutz von Tätern und für die
eigene Karriere. Das Buch ist vor mehr als 10 Jahren erschienen. Charakteristisch ist an Zollitischs Argumentation: Machtkämpfe gehören zur Politik, dem Wesen der Kirche sind sie angeblich fremd. Bei uns ist es nicht so!, behauptet er.
Wo zwei oder drei im Namen des Katholizismus versammelt sind, entstehen bloß Dienstverhältnisse. Machtverhältnisse kennt nur die böse Welt da draußen. Die Kirche ist eine Dienstgemeinschaft. Der Erzbischof zeigte sich angewidert von der Politik, wohlwissend, dass er Grund genug gehabt hätte, von seiner Kirche angewidert zu sein. Gäbe es nicht diese böse Welt da draußen, dann wüsste man in der römisch-katholischen Kirche überhaupt nicht, was Macht ist!
Erpressbarkeit dient dem Zusammenhalt
Joseph Ratzinger liebte die Metapher von Schmutz und Reinigung, seine Kirche war ästhetisch perfekt, porentief rein, und wenn doch Matsch auf dem Teppich landete, dann hatte den jemand von draußen, von der Welt reingetragen. Der verächtliche Blick kirchlicher Führungskräfte auf “die Politik” und “die Welt” macht blind dafür, dass die Kirche überhaupt kein Außen braucht, um Macht missbräuchlich auszuüben, es gibt reichlich hausgemachte institutionelle Anreize, damit sich Niedertracht lohnt.
Wer Kleriker wird, gehört nicht nur einem höheren Stand an, sondern bezieht seine Identität aus dieser Kirche, steht dafür mit seinem gesamten Leben ein - und steht unter Beobachtung, vor allem das Sexualleben. Fast jeder Priester ist mit irgendetwas erpressbar, mit dem Freund oder der Freundin zum Beispiel. Weil die Kirche mehr ist als ein Arbeitgeber, ist der Weg hinaus für geweihte Männer schwierig. Sie verlieren nicht nur einen Beruf und ein Einkommen, sondern auch ihre Identität.
Erpressung und Erpressbarkeit mit dem Wissen über Intimitäten sind spezifisch römisch-katholische Machtfaktoren. Das mit dem schon erwähnten Stand der sexuell Unsortierten zu tun. Wer möchte schon in diese Kategorie fallen?
Die Initiative “Out in Church” hat etwas verändert, aber auffallend ist die vergleichsweise geringe Zahl von Priestern. Offenkundig können Priester nur im Schutz der Anonymität darüber sprechen. Schwul sind immer die anderen, kein Bischof ist je in einer Synodenaula aufgestanden und hat gesagt: “Wir reden hier über jemanden wie mich”.
Zu groß ist die Angst, fallengelassen zu werden, abzustürzen in den Stand der Unsortierten, Ungeordneten. Outet sich ein Priester oder ein Priesterseminarist als homosexuell, wird er von seinem Bischof oder Regens garantiert hören: Sie sind der Einzige, der diese Probleme hat. Teile und herrsche, entsolidarisiere und herrsche. Anstatt das System zu problematisieren, wird der Einzelne zum Problem gemacht.
Vor einigen Wochen habe ich im Deutschlandfunk die Geschichte eines Seminaristen erzählt, der vor 20 Jahren das Seminar verlassen musste, weil er zu seiner Homosexualität gestanden hat. Hätte er sie heimlich weiter gelebt, hätte er bleiben können. Die damit befassen Bischöfe Bätzing und Ackermann haben interessant reagiert: Bätzing hat erklärt, er halte es für falsch, dass homosexuelle Männer nicht geweiht werden dürfen, zum konkreten Fall wollte er sich jedoch nicht äußern.
Wissen über Intimes ist Herrschaftswissen
Wer Bischof ist, Generalvikar, Regens, Personalchef - weiß, dass die einzelnen Fälle eben keine Einzelfälle sind. Das Wissen um Intimitäten des Anderen gehört zur Personalführung dazu. Es dürfte auch seinen Grund haben, dass viele Bischöfe vorher Regenten oder Personalchefs waren. Dann weiß man, was los ist, dann weiß man, wer womit erpressbar ist. Aus dieser Warte auf “die” ach so verkommene Politik zu zeigen, ist als Arroganz der Macht. Nein, bei "uns" in der Kirche ist es tatsächlich nicht SO. Es ist viel schlimmer. Persönlicher, übergriffiger, verletzender.
Kirchengranden wie Meisner, Zollitsch und Lehmann wurden der Lüge überführt, der Mitarbeiter der Wahrheit, Joseph Ratzinger, brauchte massiven anwaltlichen Beistand, um nicht als Lügner dazustehen, gegen den Erzbischof von Köln wird wegen des Verdachts auf Meineid und Eidesstattliche Falschaussage ermittelt. Hochmut gegenüber der Welt da draußen ist angesichts solcher Befunde mindestens unangebracht. Für diese miese Seite der Macht braucht die römisch-katholische Kirche keine Inspiration von außen, das kann sie von ganz allein.
Weltsynode als Machtleugnungsbeendigungsversuch
Die Weltsynode bringt eine Nuance Selbsterkenntnis hinein. Von Machtkontrolle und Gewaltenteilung ist die Institution weit entfernt, aber es gibt immerhin zarte Hinweis auf ein Problembewusstsein. Im Schlussdokument zur Weltsynode kommt das Wort Macht tatsächlich an verschiedenen Stellen vor, genau genommen vier Mal. Die hiearchische Struktur wird nicht in Frage gestellt: “Ohne den Wert der repräsentativen Demokratie gering zu schätzen, tritt Papst Franziskus der Besorgnis einiger entgegen, die befürchten, die Synode könnte ein Gremium der Mehrheitsentscheidungen werden, das seinen kirchlichen und spirituellen Charakter verliert und dadurch die hierarchische Struktur der Kirche gefährdet. Einige fürchten, dass sie zu Veränderungen gezwungen werden; andere fürchten, dass sich nichts ändern wird und dass es zu wenig Mut gibt, das Tempo der lebendigen Tradition mitzugehen. Hinter manchen Ratlosigkeiten und Widersprüchen verbirgt sich auch die Angst vor dem Verlust von Macht und den damit verbundenen Privilegien".
Viermal kommt Macht vor, davon zweimal in Kombination mit "weltlich". Unentschieden also. In dem Dokument zeigt sich der Konflikt zwischen jenen, die der Ansicht sind, dass Machtausübung dem Wesen der Kirche fremd ist, dass Missbrauch etwas von außen, von der Welt importiertes ist, und denjenigen, die sagen: Wo soziale Beziehungen sind, ist Macht, sie muss eingehegt, kontrolliert werden. So weit geht das Schlussdokument nicht, aber es spricht immer hin von Rechenschaft.
Der Salzburger Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff hat in Christ&Welt in der ZEIT von der Synode als einer Revolution gesprochen. Revolutionen haben Stände-Systeme hinweggefegt. Das römisch-katholische Stände-System bleibt. Das Wort "unersetzlich" kommt nur einmal vor, nämlich im Zusammenhang mit dem Bischof. Nur der Bischof, der König, ist unersetzlich. Mit Wohlwollen betrachtet kann man die Synode als Machtleugnungsbeendigungsversuch deuten. Aber ganz gleich, was nächstes Jahr mit Mehrheit beschlossen wird: Das Machtwort spricht der Papst. Vermutlich dann als Werkzeug des Heiligen Geistes der Unterscheidung. Er spricht nicht, er wird gesprochen.
Womit wir beim Thema Zuhören wären:
4. Der Tisch-Kitsch: Wir sind gemeinsam sitzend unterwegs
Als die ersten Fotos von der Synodenaula zu sehen waren, dachte ich: Das sieht ja aus wie im Spielcasino der 1970er Jahre. Wo haben die denn die Tische und Stühle aufgetrieben? Hat Bad Oeynhausen den Keller ausgeräumt? Die Stühle Modell Champagner stapelbar kann man bei einem Internet-anbieter namens Pokershop.de bestellen. Mein Blog zur Synode hieß deshalb "Casino Royale”. Nun lese ich in dem Schlussdokument, dass diese Tischordnung nichts mit einer Spielbank zu tun hat, sondern mit dem biblischen Bild des Hochzeitsmahls aus der Offenbarung des Johannes.
Der runde Tisch, Wörter wie “Wir” und “gemeinsam” Weg” “Unterwegs”, aber auch Mahl und Tischgemeinschaft sind geschickt gewählt. Die hierarchischen Verhältnisse bleiben, das Stufige wird aber rund gemacht. Man geht, ist unterwegs, sitzt komischerweise dabei. Köln kennen das Paradox unter Wort Schunkeln: Tanzen im Sitzen. Es wird zwar abgestimmt, aber die Hochzeitsgesellschaft ist kein Parlament, das mit Mehrheit Gesetze beschließt, sondern heraus kommen Bitten und Wünsche. Abstimmen heißt auf Katholisch eher: Die Stimmung ist super.
Denn: Die römisch-katholische Kirche ist nicht nur eine Institution, nicht nur eine Glaubensgemeinschaft, sie ist ein großes Gefühlsroulette. Liebe, Hoffnung, Kränkung. Aber ganz gleich, wie die Gefühlslage ist. Es gibt Wörter, die immer gewinnen. Trampeln alle auf der Stelle, dann ruft jemand: "Wunderbar, das ist der Anfang eines Weges!" Rennen alle durcheinander, dann ruft jemand: "Aufbruch!" Kommt nach einem Riesenanlauf kein konkretes Ergebnis heraus, war es eben ein Hoffnungslauf, bei dem es gar nicht aufs Ziel, sondern auf den Weg ankam. Mag sein, dass das in Deutschland nicht mehr so funktioniert wie bei der Würzburger Synode, aber es funktioniert immer noch erstaunlich gut.
Der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke listet in seinem Buch “Die Täuschung” all diese gefühligen Selbsttäuschungen auf. Nur weil der König und der Gärtner gemeinsam gehen, sind sie noch lange nicht gleich. Nur weil man Stimmrecht hat, bestimmt man noch lange nicht mit. Das wissen eigentlich alle, dennoch wollen viel Engagierte etwas Anderes glauben.
Die frewillige Unterwerfung der Ungeweiten.
Damit bin ich bei den Laiinnen und Laien. Macht ist - banale Feststellung - ein komplexes soziales Geschehen, damit ist nicht einfach Befehl und Gehorsam gemeint, nach dem Motto: Der Geweihte befiehlt, der Ungeweihte gehorcht. Diejenigen mit der Leitungsgewalt haben zwar disziplinarische Möglichkeiten, um etwas durchzusetzen. Aber charismatische Herrschaft – um Webers Wort noch einmal zu benutzen – ist mehr als Angst vor Strafen. Sie braucht freiwillige Gefolgschaft. Die Follower werden nicht gezwungen, sie möchten dazu gehören. Ausgemeindung im Sinne von: "Du bist nicht mehr katholisch" – tut in einer solchen Gemeinschaft ganz besonders weh.
Theodor Eschenburg definiert in seinem Buch “Über Autorität” eben diese Autorität als “freiwillige Unterwerfung im Vertrauen auf Überlegenheit. Von Autoritäten einer Glaubensgemeinschaft wird helfender Rat erwartet, Anerkennung, Bestätigung der Zugehörigkeit. Zur Autorität gehört, dass es kein Ratschlag eines Gleichen ist, sondern ein Rat von der Sorte, den ich tunlichst nicht überhören sollte.
Nun hat die Kirche Autorität gerade auf jenem Terrain eingebüßt, wo sich ihre Hierarchen am meisten helfenden Rat attestiert haben, nämlich in der Geschlechtsverkehrsregelung. Die Macht über die Betten der Gläubigen ist weg, das förderte zum Beispiel die Befragung vor der Familiensynode 2015 zutage.
Die Macht, die schon gesellschaftlich verloren war, wurde übers kirchliche Arbeitsrecht noch auf die Beschäftigten ausgeübt. Dies zeigt der Film “Wie Gott uns schuf” deutlich. Bestenfalls war da der nette Vorgesetzte, der es nicht so streng sieht. Aber Jovialität ist auch nur ein anderes Wort für Willkür.
Die Brutalität der Verknüpfung von Intimsphäre und Arbeitgebermacht macht ist offenkundig. Das Wort Dienstgemeinschaft verschleiert diese Machtverhältnisse. Die Änderung des Arbeitsrechts hat daran etwas verändert. Sie kam jedoch nicht durch Gespräche an runden Tischen zustande, sondern durch die Rechtsprechung. Von sich aus haben Bischöfe diesen Macht-Posten nicht geräumt. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller schreibt in seinem gerade erschienenen Buch “Unheilige Allianz” über diese Dienstgemeinschafts-Brutalität: “Betroffene, deren Berufsbiografien durch die katholische Kirche zerstört wurden, warten immer noch auf ein Wort der Entschuldigung.”
Die Liebe zum Refombischof
Viele Gläubige gestehen “der Kirche” und dem Episkopat insgesamt keine Autorität mehr zu, viele aus dem liberalen Lager glauben allerdings noch immer an den “guten Hirten” in Gestalt des Reformbischofs, der sich sogar mit Laien und Lai*innen an den Tisch setzt.
Liebe zu Reformbischöfen macht aber blind.
Als der Synodale Weg begann und ich die Satzung las, habe ich mich gefragt: Wie kann es sein, dass kluge Menschen, sogar welche mit Politikstudium, den Bischöfen eine eigene Mehrheit zugestehen, dass also die zwei Drittel-Mehrheit des Plenums nicht reicht, sondern ein Text nur als angenommen
gilt, wenn auch zwei Drittel der Bischöfe zugestimmt haben. Wie kann es sein, dass Bischöfe, die angeblich Macht abgeben wollen, den Synodalen Weg an diesen Bedingung knüpfen? Es war absehbar, dass eine solche Sperrminorität genutzt wird, es war ziemlich wahrscheinlich, dass sie beim Thema Sexualmoral genutzt wird. Wer das allerdings schon 2019 gesagt hat,
wurde als "zynisch", "hoffnungsarm" und pessimistisch ausgemeindet.
Weder habe ich etwas gegen runde Tische, noch gegen Gemeinsamkeit noch gegen Hoffnung. Aber Hoffnung ist hier die völlig falsche Kategorie. Der reform-romantische Tisch-Kitsch braucht so viel Aufmerksamkeit, dass für die unromantische Analyse von Machtverhältnisse und Machtstrategien keine geistige Kapazität mehr übrig bleibt.
Das fängt schon bei der Bezeichnung an. Wer das angeblich konservative Lager genau anschaut, stellt fest: Viele sind nicht konservativ, ringen nicht kompromissbereit um den Umgang mit dem Wandel, rechtsautoritär bis klerikalfaschistisch sind passendere Bezeichnungen. Die Gruppen und Grüppchen sind zwar zahlenmäßig verschwindend klein, verfügen aber über Geld, politischen und gesellschaftliche Einfluss und kampagnenfähigen Eifer. Es gibt ein gefestigtes hass-katholisches Milieu, das nicht argumentiert, sondern diffamiert. Das nicht widerspricht, sondern bestimmte Personen als öffentliche Personen vernichten möchte.
Rechtsautoritäre Feindbilder: Demokratie, Gender, Frauenrechte
Das Problem ist nicht, dass die immergleichen Bischöfe gegen Reformen stimmen oder jetzt dem Synodalen Ausschuss fernbleiben. Das Problem ist, dass es eine weltweite Bewegung gibt gegen alles, was mit Emanzipation, Gleichberechtigung und liberaler Demokratie zu tun hat und dass ein Teil des katholischen Klerus und einflussreicher Laien genau dieselben Feindbilder haben: Demokratie, Frauenrechte, Gender.
Es ist illusorisch angesichts von internationalen, überkonfessionellen Allianzen zwischen religiösen Rechten und politischen Rechten – zum Beispiel im Kampf gegen Abtreibung, gegen die Gleichberechtigung von Queeren – zu glauben, dass man dem mit Tischrunden, Zuhören und Gesprächen beikommt. Eine solche Hoffnungshypnose ist fahrlässig. Aufklärung hilft, etwa Finanzströme analysieren, zum Beispiel im sogenannten "Lebensschützerbereich". Die Diskriminierung von Frauen und Queeren ist machstrategisch wichtig. Man kann damit wunderbar auf der politischen rechten Welle surfen. Der Zeitgeist bläst kräftig.
Nun gibt Katholikinnen und Katholiken, die Diskriminierung tatsächlich Diskriminierung nennen, die das auch eingebracht haben in die Vorbereitung der Weltsynode. Ob sie im katholischen Gefühlsrausch wirklich sehen wollen, welche rechtsautoritären Geister da über den runden Tischen schweben? Ich bin mir nicht sicher.
Es ist vielsagend, dass im Schlussdokument der Weltsynode LGBTQ nicht vorkommt, weil das die Autoritären nicht wollen. Es ist auch vielsagend, dass es offenbar keine Diskrimierung gibt, sondern nur Menschen, die sich ausgegrenzt "fühlen". Damit wird eine objektive Benachteiligung zum subjektiven Empfinden herabgestuft, als müssten die Diskriminierten an sich arbeiten und nicht die Institution am Ende der Diskriminierung.
Ob die Synode überhaupt etwas verändert, bemisst sich für mich an der Frage, ob die Autoritären Macht verlieren und ob dieses Wort “fühlen” verschwindet. Dass in einem Schlussdokument die Formulierung auftaucht: "Ja, wir diskriminieren, aber jetzt hören wir nicht nur zu, wir hören mit dem Diskriminieren auf." Beurteilen Sie selbst, wie realistisch das klingt.
Wer dazu gehören will, wem die Kirche noch etwas bedeutet und bisher ausgegrenzt, abgewertet, erniedrigt wird, dessen Leben würde durch ein Ende der Diskriminierung konkret verbessert. Reformen sind, anders als Franziskus das darstellt, keine abstrakte "Agenda". Das Ende der Diskriminierung, das Angenommensein durch den absoluten Herrscher, kann lebenswichtig sein. Soviel habe ich zumindest verstanden von den Katholikinnen und Katholiken, denen ich zugehört habe.
5. Das demutsgigantische Weib
Das, was ich Frauendings nenne - also Rolle der Frau/Stellung der Frau/Thematik Frau/Megathema Frau/Stellung der Frau in Kirche Gesellschaft Welt und Weltall – kann ich eur mit Humor ertragen. Kardinal Kaspar zum Beispiel sagte, man müsse Frauen „mehr Raum geben“. Franziskus sagte, Frauen seien gut gegen die Einsamkeit. Bischof Bertram Meier erklärte bei einer Priesterweihe: "Habt keine Angst vor Frauen."
Im Schluss-Dokument der Weltsynode wird die Machtverschleierungsvokabel "Komplementarität” verwendet. Frau und Mann ergänzen einander, das klingt gleichberechtigt. Die Frage ist nur: Wer bestimmt, was fehlt und was die Frau ergänzen soll? Der geweihte Mann. Die Diskriminierung beginnt nicht damit, dass Frauen von Weiheämtern ausgeschlossen sind, sondern damit, dass Frauen ein Platz zugewiesen wird. Mutter/Ehefra oder Ordensfrau Macht, das sagte ich schon, ist für das römisch-katholische Lehramt etwas Verwerfliches. Erst recht verwerflich ist aber, wenn Frauen nach Macht streben. Joseph Ratzinger schrieb in seinem Brief an die Bischöfe vom 31. Mai 2004 mit spitzen Fingern über das Streben nach Macht. Besonders besorgten ihn strebsame Frauen.
Machtgelüste stifteten Unheil und Verwirrung, warnte er. „In den letzten Jahren haben sich in der Auseinandersetzung mit der Frauenfrage neue Tendenzen abgezeichnet. Eine erste Tendenz unterstreicht stark den Zustand der Unterordnung der Frau, um eine Haltung des Protestes hervorzurufen. So macht sich die Frau, um wirklich Frau zu sein, zum Gegner des Mannes. Auf die Missbräuche der Macht antwortet sie mit einer Strategie des Strebens nach Macht. Dieser Prozess führt zu einer Rivalität der Geschlechter, bei der die Identität und die Rolle des einen zum Nachteil des anderen gereichen. Die Folge davon ist eine Verwirrung in der Anthropologie, die Schaden bringt und ihre unmittelbarste und unheilvollste Auswirkung in der Struktur der Familie hat.“
Meines Wissens wurde dieser Text nicht korrigiert. Gleichberechtigung der Geschlechter ist in diesem System nicht vorgesehen, weil Frauen ja nicht diskriminiert, sondern nur "gerechtfertigt ungleich" behandelt werden.
Die Konditionierung der Katholikin
Reformbischöfe beschreiben den Ist-Zustand auch nicht als Diskrimierung, sondern sagen: Ich nehme wahr, dass Frauen die Situation als Ungerechtigkeit wahrnehmen. Da geht es also nicht um Gleichberechtigung, sondern um Ungerechtigkeitsempfindensminderung. Man muss eher am Gefühl der Frau etwas schrauben als am System.
Die institutionelle Macht beim Frauendings besteht nicht nur darin, dass sich Türsteher einfach geil fühlen, wenn sie sagen können: Die Tür ist zu. Du kommst hier nicht rein.
Die Machtausübung ist subtiler, sie hat etwas mit einer katholischen Konditionierung speziell der Frauen zu tun. Katholikinnen lernen früh, nicht in Möglichkeiten denken, sie lernen, sich bestimmte Möglichkeiten gleich mal zu verbieten, weil sie katholisch und weiblich sind, und sie müssen lernen, dankbar zu sein für die Nische, in der sie dann doch im Rahmen des kirchenrechtlich Möglichen, etwas tun dürfen. Gestern schickte das Erzbistum Köln eine Pressemittelung herum, dass im Göttlich Gestifteten Erzbistum überdurchschnittlich viele Frauen in Führungspositionen sind. Das sagte der Erzbischof und der Amtsleiter. Dafür müssen sie dankbar sein, sie dürfen nicht eine Erzbischöfin Maria ohne Rainer davor fordern.
Eine gute Katholikin manipuliert sich nicht nur selbst, sie manipuliert auch andere. Und damit bin ich bei einer spezifisch weiblichen Form der Bescheidenheitsbrutalität: In der FAZ stand zu lesen, dass das vatikanische Presseamt die australische Theologieprofessorin Renee Köhler-Ryan ins Rennen, als es in der PK um den Diakonat für Frauen gehen sollte. Man solle sich nicht darauf fixieren, ob Frauen Priester oder Diakon werden dürften, forderte sie. Stattdessen solle man sich fragen: „Was will ich als berufstätige Frau für meinen Mann und meine Familie?"
Wenn es wirklich so wäre, dass Frauen allein aufgrund einer göttlichen Wesensbestimmung ein bestimmte Bestimmung hätten, dann müssten sie eigentlich wissen, was sie wollen sollen – ohne dass ihnen das jemand ständig einbimst. Aber katholische Frauen brauchen immer jemand, der oder die ihnen erklärt, was sie wirklich wollen sollen. Als warteten sie immer noch auf den guten Hirten, der ihnen sagt: “Braves Mädchen.”
"Wollen Sie Priesterin werden?"
Eine verbreitete Haltung unter Katholikinnen: "Ich werde als Frau in dieser Kirche nicht diskriminiert, ich möchte nicht Priesterin werden, ich bin mit meinem Platz zufrieden." Ich. Ich. Ich. Sehr oft bin ich gefragt worden, ob ich Priesterin werden möchte. Wenn ich dann "nein" sage, folgt die verdutzte Reaktion: Warum schreiben Sie dann ein Buch über Frauen in der Kirche? Tja, vielleicht, weil ich Journalistin bin und nicht nur mit mir selbst beschäftige, sondern zum Beispiel mit mindestens 50 Prozent der Menschheit und 80 Prozent der kirchlich Engagierten?
Das manipulative Element besteht darin, dass durch diese Konditionierung statt der systemischen Diskriminierung die persönliche Motivation zum Thema gemacht wird.
Es sieht demütig aus, wenn eine Frau sagt: "Ich bin mit dem mir zugewiesenen Platz zufrieden." Oder wenn sie fragt: Was will ich für meinen Mann und meine Familie? Tatsächlich aber ist diese Haltung autoritär, eigentlich heißt das ja: Weil ICH etwas nicht will, sollst DU das nicht dürfen.
Im der Politik hieße das: Weil ich nicht Bundeskanzlerin werden will, sollen Frauen nicht kandidieren und auch nicht wählen dürfen. Möglichkeiten, die ich selbst nicht nutzen möchte, sollen auch andere nicht nutzen, allein aufgrund des Geschlechts. Genau diese Demutsgigantinnen werden so gern vom rechtautoritären Bischöfen vorgeschickt, um für “die Frauen” zu sprechen.
Bitte, Bittchen und Bitch-Revolte
Das Frauenpapier am Ende des Synodalen Weges war ein peinliches - ich weiß nicht, wie sich diese kleinlaute Textgattung nennt: ein Bittchen vielleicht. Auf der Weltsynode war die Frage des Diakonats die am härtesten umkämpfte.
Frauen sind also noch immer die unbekannten, wilden, gefährlichen Wesen, die man nicht frei herumlaufen lassen darf. Das ist der Stand anno 2023. Frauen knallhart auf Erden zu diskriminieren und sie gleichzeitig mit Himmlische-Apostellinen-Rollenangeboten zu umschmeicheln, das gehört zum kulturelles Kapital der Kirche. Die manipulative Macht besteht darin, dass nicht die Diskriminierer ein schlechtes Gewissen haben, sondern jene Frauen, die Gleichberechtigung fordern. Bisher hat alles theologische Argumentieren hat nichts genützt, es hat auch nichts genützt, dass Frauen ihren Nutzwert für die Kirche beweisen. Bei denjenigen, die es zu entscheiden haben, fehlt der Wille, die Diskriminierung zu beenden.
Warum viele Frauen noch immer wohlwollend sind und keine böse Absicht erkennen wollen, ist ein Geheimnis ihres Glaubens. Ehrlich wäre es, wenn die Herren nicht immer Jesus und seine Junger vorschickten, sondern offen heraus sagten: Ja, ich diskriminiere Frauen und ich stehe dazu. So wahr ich hier am runden Tisch sitze. Dazu können sich Frauen wenigstens verhalten und eben auch gegenhalten.
Noch besser wäre, wenn ein Global Player wie die römisch-katholische Kirche den simplen Satz “Frauen sind gleichberechtigt” über die lehramtlichen Lippen bringen würde, dann würde sich das Leben vieler weiblicher Menschen weltweit verbessern.
Mein Sohn schlug kürzlich vor, dass ich den Weiberaufstand in einer englischen Fassung rausbringen sollte. Seine Titelidee “Bitch Revolte”. Gefällt mir. Wenigstens kein Bittchen.
6. Die Macht der Täterschützer, die Macht der Medien
Sie haben mich gebeten, auch etwas über die Rolle der Medien zu sagen als vierte Gewalt, als Element der Machtkontrolle. Ich möchte das subjektiv tun, eher impressionistisch. Dazu lese ich Ihnen einen Auszug aus einem Brief vor vom 13.9. 1996 an das Bischöfliche Generalvikariat eines deutschen Bistums vor:
Der Priester gehört zu den wenigen, die von einem weltlichen Gericht verurteilt wurden. Dass es soweit kam, war den Eltern zu verdanken, nicht dem Bistum.
Das Bistum, um das es geht, zählt zu den “guten”, eher liberalen, Reformorientierten.
2010, also 14 Jahre später, hat sich der Bischof erschüttert gezeigt von den bedauerlichen Einzelfällen. In Interviews hat er, wie seine Amtsbrüder auch, erklärt, er habe vor dreißig Jahren nicht richtig verstanden, was Missbrauch ist. Wie schlimm das ist. Er habe eine Lernkurve gemacht.
Welchen Teil des Briefes hat er nicht verstanden?
Ich habe auch eine journalistische Lernkurve hinter mir. Ich habe 2010 nicht verstanden, dass Täter, die sexuelle Gewalt verüben, Strategien haben, dass sie äußerst planmäßig vorgehen, dass sie in vielfacher Hinsicht das Machtgefälle zwischen einem Erwachsenen und einem Minderjährigen, einem Geistlichen und einem Nicht-Geistlichen ausnutzen. Bei der Anbahnung der Taten, während der Taten und nach den Taten. Sie nutzen die Autorität des Amtes, und sie schaffen es, dass sollte es Gerüchte geben, die Gemeinde auf ihrer Seite steht. Der Bischof steht sowieso zu ihnen.
Was war wichtiger als die missbrauchten Kinder?
Was ich 2010 erst recht nicht verstanden hatte, war die Rolle der Bischöfe in diesem Machtgefüge. Schon recht früh gebrauchten einige von ihnen die vermeintlich selbstkritisch Floskel, ihnen sei der Schutz der Institution wichtiger gewesen als die Gerechtigkeit für die Betroffenen. Jetzt aber stünden sie an der Seite der Betroffenen, das sagte Robert Zollitsch schon 2010 und Christ&Welt/ZEIT zeigt in einer herausragenden Recherche in der aktuellen Ausgabe, dass es diese Absicht überhaupt nicht gab, dass er gegenüber der Politik mit einer Arroganz der Macht agierte und eine Aufarbeitung kirchlicher Missbrauchsfälle mit Erfolg verhinderte. Er täuschte die Politik und diese ließ sich auch gern täuschen.
Ich habe Kontakt zu vielen Betroffenen, bin einzelnen Fällen, die keine Einzelfälle sind, akribisch nachgegangen, einen Teil davon habe ich im Deutschlandfunk detailliert erzählt. Whistleblower*innen sei Dank bekam ich Einsicht in interne Papiere, tausende Seiten habe ich gelesen. Und natürlich habe ich mich gefragt, warum Bischöfe bis heute nichts von sich aus zugegeben haben, warum sie nur das zugeben, was sie nicht mehr bestreiten können.
Und vor allem: Warum waren die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gleichgültig? Was war wichtiger als deren Schutz?
Ich habe vielschichtige Antworten gefunden: um Konflikten aus dem Weg zu gehen, um die eigene Karriere nicht zu gefährden, um nicht der erste zu sein, der aus einem System ausbricht, das alle mitgemacht haben. Und vor allem: Weil es kaum Angst gab, dass es etwas rauskommt. Als dann doch vor allem nach 2010 einiges rauskam, herrschte die Gewissheit: Das managen wir weg, wir reden über Prävention und dass wir auf einem gute Weg sind und dass es Missbrauch auch anderswo gibt. Den Rest besorgen Anwälte.
Die Bischöfe agieren, wie sie agieren, weil sie es können, weil sich niemand substanziell in den Weg stellt. Es gibt keine Kontrollinstanz. Auch die Öffentlichkeit ist keine sonderlich mächtige vierte Gewalt.
Dabei entwickeln sie ein ausgesprochen taktisches Verhältnis zur Wahrheit. Vor gut einem Jahr bat mich ein Mann an sein Sterbebett. Er beschuldigte Winfried Pilz, ihn in den 1980er Jahren in Haus Altenberg vergewaltigt zu haben. Das Erzbistum Köln habe das seit 1988 gewusst. Winfried Pilz verließ - rein zufällig - Altenberg 1989. Bei unseren Recherche hatten Raoul Löbbert und ich den Eindruck, dass sehr viele schon früh wussten oder mindestens den Verdacht hatten, dass die aufopferungsvolle Sozialarbeit des Monsignore Pilz dazu diente, Männer von sich abhängig zu machen, sie – wie er es selbst ausdrückte – auf der Bettkante auch mal anzufassen. Männer, die sozial so benachteiligt waren, dass ihnen sowie keiner glaubte, wenn sie von dem Missbrauch erzählten.
Der amtierende Kölner Erzbischof, der nach eigenem Bekunden über jeden Verdacht informiert werden wollte, hat von all dem nichts gewusst bis zur 4. Juni-Woche 2022, so versichert er an Eides statt, abgesichert von seinen Anwälten.
Das Amt ist das Leben
Zuerst im Februar 2021 und danach noch mehrfach habe ich über die Causa Karin Weißenfels berichtet, eine Frau, die von einem Priester schwanger wurde, und von ihm zur Abtreibung gedrängt wurde. Mit ihrem Fall waren Reinhard Marx, Stephan Ackermann und Georg Bätzing befasst, alles amtierende Bischöfe. Alle sind während der Recherche ebenfalls durch ihr taktisches Verhältnis zur Wahrheit aufgefallen. Das Bistum Trier hat sich bei seinen Antworten immer wieder in Widersprüche verwickelt. Diese Widersprüche findet man aber nur, wenn man sich sehr gut auskennt, dranbleibt, oft über Jahre. Zum Glück für die Mächtigen bleiben nur wenige Journalistinnen und Journalisten über Jahre dran.
Juristische Überkomplexität schaffen, so schreibt Petra Morsbach in ihrem großartigen Buch über den "Elefanten im Raum", gibt Macht. Vor allem denn, wenn gegen einfache ethische Grundsätze verstoßen wurde.
Ich kann damit leben, von Bischöfen angelogen zu werden. Denn mein Leben hängt nicht davon ab, dass sie mir die Wahrheit sagen. Journalismus ist mein Beruf, ich habe noch ein anderes Leben.
Aus machttaktischer Sicht kann ich die Herrschaften sogar verstehen. Wenn man einmal entschieden hat, dass das Amt das Wichtigste ist, wenn das Amt die Identität bestimmt, dann agiert man so. Man darf darauf hoffen, dass die ganze Wahrheit ohnehin nicht rauskommt, erst recht nicht in Gutachten, die man selbst in Auftrag gibt, und wenn es eng wird, kann sich ein Bischof teure Anwälte leisten, die er natürlich nicht privat bezahlt.
Wer aber nicht mit diesem taktischen Verhältnis zur Wahrheit leben kann, das sind die Betroffenen. Sie wollen erfahren, was wirklich passiert ist, warum jemand, der ihnen hätte helfen können, nicht geholfen hat, warum ein Bischof durch die Versetzung eines Täterpriesters weiteren Missbrauch in Kauf genommen hat.
Die Lügerei verwüstet Leben
Wenn Bischöfe zu der ganzen Geschichte nicht wahrheitsgemäß das beitragen, was sie beitragen können, dann ist das ein brutaler Schlag ins Gesicht der Betroffenen, wie es die Mutter im zitierten Brief formuliert hat. All die Kleriker-Sätze, die 50 Mal das Wort Betroffene enthalten, sind dann nichts wert. Die Lügerei beschädigt, verwüstet, zerstört weiterhin Leben.
Kürzlich habe ich darüber berichtet, dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing eine Unterlassungserklärung unterschrieben hat. Er hatte 2021 eine Journalistenfrage nach seiner Rolle als Generalvikar in Trier im Fall Weißenfels nicht wahrheitsgemäß beantwortet. Er hatte seine Rolle heruntergespielt. Mutmaßlich hatte er nicht damit gerechnet, dass jemand die Unwahrheit bemerkt und er hatte nicht damit gerechnet, dass sich die betroffene Frau sich so gewehrt hat, wie sich gemeinhin Bischöfe wehren: mit einem exzellenten äußerungsrechtlichen Anwalt.
Gute Opfer geben ja Ruhe, sie vergeben ihren Tätern und den Täterschützern. Sie wollen nichts dringlicher als „in die Wunden Jesu schauen“, wie es Joseph Ratzinger in seinem Brief an die irischen Katholiken 2010 ausgedrückt hat.
Die deutschen Bischöfe haben bei der Aufarbeitung – ich spreche von Aufarbeitungssimulation – sorgsam darauf geachtet, dass sie die Macht darüber in der Hand behalten. Bis heute haben sie erfolgreich verhindert, dass unabhängig aufgearbeitet wird, statt dessen haben sie die Macht, Kommissionen und Beiräte, die von ihnen berufen werden, "unabhängig" zu nennen und das U auch noch großzuschreiben.
Die katholische Frage: Warum berichtet die das?
Zwei Schlussgedanken möchte ich den Gläubigen widmen. Sie sind noch immer erstaunlich gutgläubig und zeigen sich bestürzt, wenn ein Missbrauchstäter überführt wird. "Was, der auch? Das hätte ich nie gedacht. Der war doch immer so nett, jovial, menschenfreundlich." Wenn die Recherchen von uns Medienmenschen in den vergangenen Jahrzehnten doch eines gezeigt haben müssten, dann das: Täter können liberal sein, aber Täter können auch mit Klerikerkragen auf die Welt gekommen sein. Missbrauch ist unabhängig von der kirchenpolitischen Couleur und Täterschutz ist es auch.
Viel zu viele Gläubige denken nach wie vor, dass es die Sache der Betroffenen selbst ist, für Gerechtigkeit zu streiten oder, um die Münze etwas kleiner zu wählen, wenigstens das Leben zu verbessern. Nur sehr selten bekomme ich Hörerpost mit der Frage: Was kann ich für Betroffene tun? Immerhin, es gibt solche Reaktionen.
Die Gläubigen spielen noch in andere Hinsicht eine Rolle, nämlich als Öffentlichkeit, als unser Publikum. Für journalistische Arbeit - für meine jedenfalls - ist das alles entscheidende Kriterium: stimmt das, was ich behaupte? Haben wir Belege? Wenn ich die nicht habe, muss ich mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.
Was sehr auffällig ist: Für die katholische Öffentlichkeit ist ein anderes Kriterium viel wichtiger. Nämlich die Frage nach den mutmaßlichen Motiven von Journalistinnen und Journalisten. Ob das stimmt mit dem Täterschutz, den Lügen, dem Machtmissbrauch erscheint irrelevant. Viel wichtiger ist: Warum berichtet der oder die das? Hat er schlimme Erfahrungen mit der Kirche gemacht? Wollte die Priesterin werden und ist es nicht geworden? Ist er selber Missbrauchsbetroffener? Ist sie enttäuscht, verbittert, pessimistisch?
Der Soziologe Ulrich Beck schrieb in seinem 2002 erschienenen Buch „Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter“: „Wo niemand über Macht spricht, ist sie fraglos da, in ihrer Fraglosigkeit zugleich sicher und groß. Wo Macht Thema wird, beginnt ihr Zerfall.“
Wer Macht thematisiert, so der Vorwurf der übergriffigen Hobby-Psychologen, arbeitet am Zerfall der Kirche, arbeitet sich ab. Ich sage dann immer: Ich arbeite mich nicht ab, ich arbeite. Aufklärungsarbeit kann zumindest mehr Menschen dafür sensibilsieren, wo Machtmissbrauch anfängt. Ich hoffe, dass weniger Menschen Opfer werden.
Ich habe es nicht mitbekommen: Wann ist Christiane Florin als Hexe verbrannt worden???
Noch nicht?
Dann wird sie irgendwann heiliggesprochen werden (müssen)
Hervorragende Rede.
Nur an einer Bezeichnung störe ich mich, i Ü. nicht zum ersten Mal:
Das Wort "Verantwortungsverdunstungsbetrieb" ist irreführend.
Die Verantwortung bleibt, was verdunstet oder nie vorhanden war ist das Verantwortungsgefühl.
Dieses verschwindet mit der bedingungslosen Unterwerfung unter "den Bischof" (letztlich den Bischof von Rom) der - jeder von ihnen - gemäß römisch-katholischem Größenwahn den "Platz des Vaters Jesu Christi " einnimmt (Pastores Gregis).
Wo bedingungsloser Gehorsam höchste Tugend ist, braucht es kein Verantwortungsgefühl bzw. Gewissen mehr.
Richtiger wäre die Bezeichnung "Betrieb der Gewissenlosen".
“The disappearance of a sense of responsibility is the most far-reaching consequence of submission to authority.”
― Stanley Milgram