Impuls auf der Vollversammlung der Pastoralreferent:innen des Bistums Aachen,
22. November 2024, Mönchengladbach,
Jesus hat vor der Macht gewarnt. "Bei euch aber soll es nicht so sein", hat er gesagt. Er war damit sehr erfolgreich, denn all seine Stellvertreter auf Erden sagen seit Jahrzehnten: Nehmt euch in Acht vor der Macht!
Sein aktueller Stellvertreter Franziskus zum Beispiel predigt: „Die Macht des Hirten ist der Dienst, und wer eine andere Macht anstrebt, der ruiniert seine Berufung. So wird man ein Geschäftsführer, aber kein Priester“. Das sagte Franziskus in der Frühmesse vom 24. April 2020, er hat es schon xmal vorher gesagt. Ein Buch von ihm, zehn Jahre alt, heißt auf Deutsch: „Die wahre Macht ist Dienst“.
„Es brauche „keine Kirche, die sitzenbleibt und aufgibt, sondern eine Kirche, die das laute Rufen der Welt aufnimmt und sich die Hände schmutzig macht, um ihr zu dienen", sagte er zum Abschluss der Weltsynode Ende Oktober.
Macht soll es also nicht geben in der römisch-katholischen Kirche, alles ist Dienst. Und wenn es Macht dann doch gibt – ja dann, mon Dieu, Fehler passieren, wir sind alle Sünder. Und außerdem gibt es ja sooooo viel Gutes. Und gerade Sie sind als Pastoralrefent*innen zuständig fürs Gute, Soziale, die "Nähe zu den Menschen", wie es immer heißt.
Das war’s schon. Danke, dass ich vor Ihnen sprechen durfte.
Die spinnt!
Ich schaue in irritierte Gesichter.
Warum? Machen Sie andere Erfahrungen?
Ich auch.
Vor sieben Jahren war ich alt und naiv und wählte für mein lila Buch namens Weiberaufstand den Untertitel "Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen”. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass EIN Wort noch mehr Allergien auslöst als das Wort Weib: das Wort Macht. Und zwar in verschiedenen kirchenpolitischen Lagern.
Das Wort Macht auf dem Cover war in etwa so, als hätte ich in einem veganen Café auf die Frage, was den Cappuccino toppen soll, laut herausgeschrien: “Ich will Milch von ausgebeuteten Kühen aus Käfighaltung!” Alle sitzen da mit Hafer-, Reis- und Mandelmilch und schauen einen entgeistert an. Kuh gibt es hier nicht. Nicht! Bei! Uns! Die spinnt.
In dem lila Buch wird die verwegene Behauptung aufgestellt, dass in der römisch-katholischen Kirche Macht unkontrolliert und unbeschränkt ausgeübt wird und die sogenannte Frauenfrage vor allem eine Machtfrage ist. Für die Recherche habe ich unter anderem auch mit Vertreter*innen Ihrer Berufsgruppe gesprochen. Mir kam es ja vor allem auf die Alltagserfahrung an.
Schon das bescheuerte Wort „Frauenfrage“ – in den letzten Wochen im Zusammenhang mit der Weltsynode wieder oft zu lesen - ist ein Machtding. Wissen Sie, wie die Frauenfrage als Frage lautet? Vielleicht: Sind Frauen Menschen mit vollen Menschenrechten? Haben weibliche Wesen eine bestimmte Bestimmung, die bestimmte Bestimmer festlegen? In welchem Verhältnis steht diese bestimmte Bestimmung zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit? Sind Frauen weihbare Menschen? Wenn ja, wozu weihbar? Usw. Das Frauendings wirft viele Fragen auf, nicht nur eine. Wie die Frage formuliert wird, welche als die "wahre Frauenfrage" identifiziert wird, - das ist Macht.
Als ich 2017 den Machtverdacht äußerte, passierte Folgendes. Der Erste sagte: Die ist keine Theologin! Und dann folgt DIE FRAGE überhaupt: DARF? DIE? DAS?
Dann mischt sich der Zweite ein, aus dem rechtsgläubigen Milieu und zitiert Joseph Ratzinger: „In der Kirche gibt es keine Macht, allenfalls Vollmacht.“
Als drittes folgen Rezension in mittelkatholischen Kirchenzeitungen. Da steht dann: Um Macht sollte es uns – wer immer das auch sein mag - nun wirklich nicht gehen, weder Frauen noch Männern. Schließlich lassen kampferprobte Feministinnen wissen, die schon seit der Würzburger Synode den Diakonat auf Forderungskataloge schreiben: Frauen haben dieses Männerding Macht gar nicht nötig, die haben eigene Charismen, eine eigene weibliche Spiritualität.
Was diese spezifisch weibliche Spiritualität sein soll, weiß ich bis heute nicht. Ich verspüre sie nicht. Während die Herren den Priesterkragen richten, formieren sich Frauen zum liturgischen Tanz in Filzsocken, ist sowas vielleicht gemeint?
Macht ist bäh, für alle kirchenpolitischen Lager
Vollmacht, Dienst, Charisma – das ist die römisch-katholische Version von Mandelmilch, Reismilch, Sojamilch. Sanft und gut und aufschäumbar in der Barista-Variante erhältlich.
Macht wird in der römisch-katholischen Kirche inszeniert, in der Liturgie, in der Architektur der Kathedralen, in den Gewändern. Aber zu glauben ist: Prunk, Pracht und phallische Türme erheben eben nicht die geweihte Person – also den Priester, den Bischof, den Papst – über das gemeine Kirchenvolk. Zu glauben ist: All das Spitzenmäßige dient Gott, dem All-Mächtigen. Macht, Allmacht, gebührt nur dem Allerhöchsten.
In der Gastronomie gab es die Mode, alles zu Schaum zu verarbeiten und das Espuma zu nennen. Als ich Bücher las über das Amt und die Weihe musste ich an Espuma denken. Viel Schäumchen, aber darunter keine präzise Beschreibung institutioneller Härten.
Wenn Macht verleugnet bzw. zum Dauerdienst verbrämt wird, führt das dazu, dass Gebrauch und Missbrauch von Macht nicht unterschieden werden können. Nur, weil ich alles Dienst nenne, verschwindet die Herrschaft nicht.
Macht wegzuspiritualisieren ist kein lässliches Versäumnis, es ist brutal. Wer Machtmissbrauch erlebt, hat keine Sprache dafür und findet auch keinen, der Wörter und Stimme gibt.
"Bei euch aber soll es nicht so sein", und weil es nicht so sein soll, ist es nicht so. Denken Sie an Kirchengranden wie Meisner, Zollitsch, Lehmann und Ratzinger, die haben der Politik ins Gewissen geredet, haben christliche Politik definieren wollen. Alle vier wurden der Lüge überführt, der „Mitarbeiter der Wahrheit“, Joseph Ratzinger, brauchte massiven anwaltlichen Beistand, um kurz vor seinem Lebensende nicht als Lügner dazustehen. Gegen den amtierenden Erzbischof von Köln wird immer noch wegen des Verdachts auf Meineid und Eidesstattliche Falschaussage ermittelt. Hochmut gegenüber den Mächtigen in der Welt da draußen ist angesichts solcher Befunde mindestens unangebracht. Für diese miese Seite der Macht braucht die römisch-katholische Kirche keine Inspiration von außen, die beherrscht sie von ganz allein.
Das Intime ist kirchlich
Nein, in der Kirche ist es tatsächlich nicht so wie in Parteien und Unternehmen. Es ist aufgrund des ganzheitlichen Anspruchs schlimmer. Für diejenigen, die in dieser Kirche angestellt sind und für sie arbeiten, heißt schlimmer: persönlicher, übergriffiger, verletzender. Kirche lässt keinen Rest privaten Rest. Das Private, das Intime, ist auch kirchlich. Was man anderswo Mobbing nennt, wird im kirchlichen Kontext durch spirituelle Manipulationsstrategien auf eine andere Ebene gehoben. Da werde ich schnell von der kritisierten Mitarbeiterin zum schlechten Menschen. Schon die inflationäre Verwendung des Wortes „dürfen“ ist ein Hinweis auf spirituelle Anmaßung des Arbeits-, Pardon, Dienstgebers. Dahinter steht der Anspruch: Seien Sie dankbar, dass sie überhaupt "für Kirche" arbeiten dürfen!
Wer Bischof ist, Generalvikar, Regens, Personalchef ist nicht einfach nur Vorgesetzter. Hierarchen mit Weihe inszenieren sich als Diener, als Werkzeuge Gottes. Man muss glauben, dass Bischöfe in der Nachfolge der Apostel stehen, sie glauben das auch selbst.
Das Brutale daran ist: Wer Opfer wird von Machtmissbrauch durch Hierarchen wird, findet niemanden, der Verantwortung übernimmt, nicht persönlich, nicht repräsentativ.
Verantwortungsverdunstungsbetrieb nenne ich das. Klingt lustig, aber für Betroffene ist es bitterernst, wenn die mit der Mütze sich wegducken, weil sie als Dauerdiener anderen die Füße waschen müssen. In einem hierarchischen System gibt es oben und unten, die da oben haben alle Entscheidungsmacht, die unten haben formal keine. Ich bin nicht gegen Hierarchien, aber ich bin gegen Hierarchien ohne Verantwortung.
Leitungsgewalt fällt vom Himmel
Die römisch-katholische Kirche ist eine absolute Monarchie, sie basiert auf einer ständischen Ordnung. Der Klerus ist der höhere Stand. Er wird nicht vom Kirchenvolk gewählt, sondern von Gott berufen. Der höhere Stand hat Macht im Sinne von Entscheidungsbefugnissen und Gestaltungsspielräumen. Zugang zum höheren Stand haben nur Geweihte. Die Weihe ist ans männliche Geschlecht(steil) geknüpft. Die Weihe ist der Akt, mit dem die charismatische Herrschaft des seit geraumer Zeit verstorbenen Religionsgründers durch einen Vermittler – den Bischof – auf die Auserwählten übergeht.
Der niedere Stand besteht aus ungeweihten Frauen und Männern. Frauen können aufgrund ihres spezifischen weiblichen Wesens niemals in den höheren Stand aufsteigen. Die Ständeordnung wird stabilisiert durch eine spezifische Geschlechterordnung, die ist wiederum mit einer strengen Sexualordnung verbunden.
Bischöfe sind in dieser absoluten Monarchie die Könige unter dem Papst-Kaiser. Sie heiligen, lehren und leiten in ihrem Reich, die Legitimation für diese Herrschaft beziehen sie von ganz oben. Die Könige werden aber nicht König genannt, sondern Hirten. Wer berufen wird, wandelt sich vom Schaf zum Hirten, vom Vierbeiner zum Zweibeiner, wie die Erfurter Dogmatikprofessorin Julia Knop so schön in der Laudatio zum Dirks-Preis sagte.
Das Kirchenrecht schlägt keineswegs nur Schäumchen und Dinstchen auf. Zentral sind Begriffe wie Gewalt, Vollmacht und Befugnis. Bischöfe sind mit einer umfassenden Leitungsgewalt ausgestattet, sakramental, juristisch und administrativ. Sie setzen Recht und sprechen Recht. Sie weihen Priester, die ihnen wiederum Gehorsam versprechen. Can. 129 § 1 besagt: „Zur Übernahme von Leitungsgewalt, die es aufgrund göttlicher Einsetzung in der Kirche gibt und die auch Jurisdiktionsgewalt genannt wird, sind nach Maßgabe der Rechtsvorschriften diejenigen befähigt, die die heilige Weihe empfangen haben.“ Der CIC schweigt dazu, welche Fähigkeiten mit der Weihe auf einen Mann übergehen, Führungsqualitäten fallen vom Himmel.
Sie wissen das alles, aber glauben Sie das auch alles? Glauben Sie, dass Bischöfe Nachfolger der Apostel sind, dass mit der Weihe irgendwas von Jesus Christus auf einen Geweihten übergeht? Und dass es deshalb gerechtfertigt ist, dass mit der Weihe alle Gewalten in einer Hand vereint sind?
Sie müssten es als Katholik*innen, als Dienstnehmer*innen glauben, sie müssen glauben, dass dieser instituionelle Aufbau heilsrelevant ist und nicht nur funktional.
Die Drei Wünsche von 2021
Wo in dieser Monarchie die professionellen Lai*innen und Laien stehen, also Sie, ist nicht leicht zu bestimmen. Wir haben kürzlich einen Podcast veröffentlicht über Zufälle: "Zufälle gibt’s". In der zweiten Episode erzähle ich die Geschichte des Kölner Pastoralreferenten Peter Otten und seiner Frau. Sie haben sich in der Zufallsmaschine Karneval kennengelernt und gerieten dann in die Mühlen eines Eheannullierungsverfahrens. Der Host, also der Gastgeber dieses Podcasts, fragt mich: Was ist ein Pastoralreferent? Außerhalb der – wie man neudeutsch sagt churchy bubble – ist Ihr Berufsstand nicht besonders bekannt. Ich habe geantwortet: Pastoralreferent*innen haben ein Vollstudium wie Priester, aber nicht die Vollmachten eines Priesters. Peter Otten arbeitet mit Kommunionkindern, er macht Krankenbesuche und Trauerbegleitung, Brot und Wein darf er in der Messe nicht wandeln.
Ein Pastoralreferent ist ungeweiht, aber eingeweiht. Als ich das erklärte, fiel mir noch einmal auf, wie groß seitens der Institution die Angst sein muss, dass Ungeweihte mit Geweihten verwechselt werden könnte. Unter Ihnen fürchten vielleicht manche die Verwechslungsgefahr in die andere Richtung.
Vor drei Jahren, im November 2021 also, war ich eingeladen, zum 50. Geburtstag Ihrer Berufsgruppe vor dem Bundesverband zu sprechen. Ich habe übers Herrenhandtäschchen philosophiert – DAS Männer-Accessoire des Jahres 1971 -, über die Aufbruchstimmung damals in der westdeutschen Gesellschaft und in der römisch-katholischen Kirche. Pastoralreferent*innen waren in den 1970ern die Neuen. Die Rede endete mit drei Wünschen, die ich hier nenne:
Der erste Wunsch nimmt Bezug auf die Aktion „Liebe gewinnt“: "Ich wünsche Ihnen eine Kirche, in der Menschen gleichberechtigt sind, unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Wenn Sie - Angestellte dieser Kirche - als Mann einen Mann und als Frau eine Frau lieben, dann wünsche ich Ihnen, dass Sie heiraten können, wenn Sie das möchten. Öffentlich, kirchlich, fröhlich, jedenfalls nicht heimlich und mit Angst."
Der zweite Wunsch bezieht sich auf die MHG-Studie und die anderen Gutachten: "Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich zu wehren wissen, wenn Ihre gute Arbeit benutzt wird, um Böses zu tarnen. Keiner Ihrer obersten Vorgesetzten, niemand von ihren Dienstgebern, keiner von jenen Glaubenswächtern, die Ihnen als Ungeweihte das Predigen verbieten, hat aus eigenem Antrieb gesagt, was er alles in Sachen Missbrauch gewusst und vertuscht hat. Die dicken Gutachten lenken davon ab, dass an Bistumsspitzen nicht das minimalste ethische Minimum erfüllt wurde – schütze die Schwachen, die Kinder, die Jugendlichen, aber auch Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, wie wir spätestens seit dem Buch "Erzählen als Widerstand" wissen. Lassen Sie sich nicht zu Verrechnungsobjekten machen. Seien Sie Subjekt."
Der dritte Wunsch: "Ich wünsche Ihnen, dass Sie keine Sätze von der Sorte mehr sagen müssen: „Ich habe hier meinen Freiraum, da kann ich viel Gutes gestalten“. In autoritären Regimen braucht der Mensch Nischen. In freiheitlichen sind Freiräume die Regel, nicht die erwähnenswerte Ausnahme. Ich wünsche Ihnen eine Kirche, in der Sie größer denken können als im Herren-Handtäschchenformat."
Wenn ich diese Dreifaltigkeit mit drei Jahren Abstand durchgehe, dann komme ich zu dieser Bilanz:
"Homosexualität ist gottgewollt"
Erste Wunschprüfung: Das Arbeitsrecht wurde geändert. Durch Out in Church, vor allem aber durch die Rechtssprechung. Eine Ehe zwischen Mann und Mann und Frau und Frau ist kein automatischer Kündigungsgrund mehr, eine zweite Ehe nach einer Scheidung auch nicht. Ob es weniger Angst gibt und weniger Erpressbarkeit? Da würde mich Ihre Einschätzung interessieren.
Ich habe natürlich das Interview mit Ihrem Bischof Helmut Dieser in Christ&Welt gelesen, „Homosexualität ist gottgewollt“. Für diesen und andere Sätze wurde er regelrecht gefeiert.
Aber wo waren all die Hochwürdigsten Herren, bevor es Out in Church gab? Wieso haben sie ein Erpressungssystem nicht mitbekommen, an dessen Spitze sie stehen? Wieso haben sie das Leiden jener, die nicht in die binäre Geschlechterordnung passen, angeblich nicht gesehen? Wie kann man nicht mitbekommen haben, dass die Lehre, der man die Treue geschworen hat, Menschen abwertet? Fragt man sich nicht einmal als Dienstgeber, wie es denen geht, die es laut Lehre eigentlich nicht geben dürfte, noch dazu, wenn sie für einen arbeiten? Für solche Lernprozesse sollen sich Bischöfe eigentlich schämen, anstatt sich feiern zu lassen.
Regina Nagel, Bundesvorsitzende der Gemeindereferent*innen, hat ein Buch herausgegeben über Machtmissbrauch im pastoralen Dienst. Das Buch findet Wörter für das, was zuvor wegspiritualisiert wurde. Es sind brutale Geschichten von psychischem Druck, brutale Geschichten Frauenverachtung, brutale Geschichten der Diskriminierung. Das Interesse an dem Buch war groß, die zweite Auflage schnell gedruckt. Hat es bei Ihnen ein Gespräch darüber mit Vorgesetzten im Bistum gegeben?
Nun sagen viele von Ihnen vielleicht: "Das habe ich noch nie erlebt, ich habe Glück mit meinem Bischof…." Man kann das Glück nennen, ich nenne es Willkür. Wer Macht missbrauchen will, kann es in diesem System ungebremst.
Was ist aus meinem zweiten Wunsch geworden, dass Sie kein Verrechnungsobjekte sein sollten? Genau das sind Sie. Sie sind nicht mehr die Neuen wie 1971, Sie sind seit der MHG-Studie 2018 die Guten. Wenn es als Replik auf die „Skandal“-Berichterstattung heißt: "Aber die Kirche tut soooo viel Gutes", dann sind Sie gemeint. Hochwürden ist tief gefallen durch den massenhaften sexuellen Missbrauch. Ihr Berufsstand gilt als so etwas wie die bessere Kirche. Zugleich kommen Sie aus der Zugehörigkeit zu einem täterschützenden System nicht heraus.
Subjekt zu werden könnte bedeuten: Sie beteiligen sich an der Aufarbeitung von Missbrauch, Sie schauen genau nach, was in Ihrem Umfeld los war und ist. Sie sagen nicht: "Ach, die alten Geschichten, die machen uns die ohnehin schwierige Gegenwart kaputt." Ich kenne Vertreter*innen Ihres Berufsstandes, die genau das tun, die Betroffene von Machtmissbrauch und von sexuellem Missbrauch unterstützen auf der Suche nach der Wahrheit. Ich erlebe aber häufiger das andere, den Rückzug in die eigene kleine Welt. Es ist doch eh schon so schwer. Ich kenne "Seelsorgeteams" die kein Wort über die Geschichte ihrer eigenen Gemeinde verlieren, obwohl ihr Pfarrhaus fast täglich in der Zeitung abgebildet ist, weil dort ein verurteilter Priester mit seinen Pflegekindern wohnte.
Was Liebe leistet
Auf den dritten Wunsch möchte ich ausführlicher eingehen, auf die Sache mit der Nische und dem Denkem im Herrenhandtäschchenfirmat.
Macht ist - banale Feststellung - ein komplexes soziales Geschehen, es ist nicht einfach Befehl und Gehorsam gemeint. Der Geweihte befiehlt, der Ungeweihte gehorcht – so schlicht ist das nicht. Charismatische Herrschaft – um ein Wort Max Webers zu benutzen – basiert auf freiwilliger Gefolgschaft. Jesus hatte Follower, keine Untergebenen.
Die römisch-katholische Kirche ist der Rest-Absolutismus, den die Gläubigen freiwillig akzeptieren oder zumindest in Kauf nehmen. Eine freiwillige Unterwerfung aus Glaube, Liebe, Hoffnung.
Warum? Weil Sie ein Bild von Kirche in sich tragen, das Sie lieben. Sonst wären Sie nicht mehr da. Dieser Liebe führt dazu, dass Sie der Kirche vieles verzeihen, mehr als anderen Institutionen.
Bei der Weltsynode ist – wie erwartet – keine große Veränderung herausgekommen. Das Frauendings fiel unter die runden Tische. Machtkontrolle ist nur in zarten Ansätzen erkennbar. Bischöfe sind jetzt rechenschaftspflichtig und der Papst hat auf ein nachsynodales Schreiben verzichtet. Manche nennen das eine "Sensation". Nun ja. Bisher hatte es keine Konsequenzen, wenn deutschen Bischöfen nachgewiesen wurde, dass sie Missbrauchsfälle nicht nach Rom gemeldet haben, obwohl es ihre Pflicht gewesen wäre. Ich sehe nicht, dass die Könige jetzt vom Thron gestoßen werden.
Kleine Typberatung
Sie haben mich gefragt, wie Sie damit umgehen können, dass sich die Institution nicht grundlegend dahingehend verändert, dass sie sich an demokratischen und menschenrechtlichen Standards ausrichtet. Ich habe keine pauschale Antwort, bloß eine pastorale Typberatung.
Sie können wählen, welcher Typ sind Sie, welcher wollen Sie sein:
Typ 1: Charakteristische Satz: „Am ersten Tag meiner Rente trete ich aus“.
Diesen Satz sagen diejenigen, deren Rente in Sichtweite ist. Sie wurden in einer Zeit römisch-katholisch sozialisiert, als in den Gemeinden neue Lieder gesungen wurde. „Manchmal feiern wir mitten im Tag... Mauern werden überwunden", dazu gebatikte T-Shirts, fair gehandelter Kaffee aus Nicaragua. Typ 1 braucht den Arbeitsplatz und das Einkommen, findet vieles an der Arbeit sinnvoll, hat aber bei der Institution innerlich gekündigt. Man kann Typ 1 gar nicht mehr enttäuschen, er oder sie hat keine Erwartungen mehr. Manche haben ein schlechtes Gewissen, viele sind mit sich im Reinen. Es ist ein Deal mit Ziel. Diese Gruppe scheint mir nicht ganz klein zu sein.
Auffallend: Typ 1 gibt es offiziell nicht. Jedenfalls nehme ich keine öffentliche Diskussion darüber wahr, ich kenne kein Papier, das sich dieser Gruppe widmet, auch keine Rede an oder über Ihren Berufsstand. Da ich nicht dabei war, weiß ich natürlich nicht, ob der Aachener Bischof die innere Kündigung bei ihrer Jubiläumsveranstaltung angesprochen hat. Hat er darüber gesprochen? Ich hätte es gut gefunden, habe aber nichts dazu gefunden. Statt dessen las ich, dass Pastoralreferent*in einer der schönsten Beruf der Welt ist, kreativ, flexibel, menschenbegleitend. In der Einladungskarte war von Auflösungserscheinungen die Rede, aber nicht von den Auflösungserscheinungen in Ihnen selbst.
Typ 2: Charakteristischer Satz: 2 „Die Menschen suchen Spiritualität und Orientierung“.
Typ 2 ist zu einer Zeit in den Beruf eingetreten, als die römisch-katholische Kirche schon auf dem Rückzug war. Er oder sie kümmert sich nicht um das kirchenpolitische Umfeld, liest keine theologisch-kritischen Bücher, stellt keine Reform-Forderungen. Dieser zweite Typ ist mit sich und auch mit der Kirche im Reinen. Im Zentrum der eigenen Arbeit stehen Liturgie, Spiritualität und Charismen. Die Kleinkindergruppe turnt mit geistlichen Impulsen.
Das Kreuz trägt Typ2 gut sichtbar über Bluse und Pulli. Als Pendant zum Priesterkragen. Der Priester ist aus ihrer oder seiner Sicht ein erwählter Mensch. Mit Klerikern, die sich vor allem in der liturgischen Rolle gefallen, kommt er/sie gut klar. Typ 2 hat Verständnis dafür, dass sich geweihte Männer mit menschlichen Begegnungen und praktischer Arbeit schwer tun und dass diese Aufgaben an die professionellen Lai*innen delegiert werden. Pastoralreferent*innen des Typs 2 nehmen dem Priester auch schon mal Staubsaugen und Aufräumen ab, das passt ja nun wirklich nicht zu einem heiligen Mann. Wenn es Gebetsrunden und Nightfever gibt, ist alles gut. Für Angebote von Changement-Beratungen und Church-Entrepreneuren ist Typ 2 durchaus aufgeschlossen.
Untertyp 2b - das b steht für besondere Berufung - ist Jesus und Maria an einem Wallfahrtsort oder in einem Gebetshaus persönlich begegnet und seitdem ergriffen. Regina Nagel nennt diesen Typus die "Blitzberufenen". Typ 2 weiß, wie Evangelisierung geht und erzählt sehr gern davon, was man den nicht vom Blitz Getroffenen voraus hat.
Typ 3: Charakteristischer Satz: „Ich habe mit meinem Pastor Glück gehabt, der lässt mich machen.“
Typ 3 brennt für ihre oder seine Nische als Raum der Selbstwirksamkeit. Hauptsache, sie oder er kann das Leben von Menschen konkret verbessern, durch Besuche bei Kranken, durch Zuhören, durch Geld sammeln, durch Stadtteilaktionen, durch Liebe-Gewinnt-Segnungen. Rom ist weit, Aachen auch. In der Nische ist eine ganze Menge möglich, jedenfalls dann, wenn der Chef nicht dagegen agiert. Ganz ausblenden lässt sich die große Institution nicht.
Wenn es wieder einen Kirchen-Skandal gibt, dann schlägt das im eigenen Wirkungsbereich ins Kontor, dann reißen die Herren da oben mit dem Hintern ein, was man mühsam an der Basis über Jahre aufgebaut hat. Zu dieser Art des Weitermachens gibt es für Typ 3 keine Alternative. Besser für etwas brennen, manchmal auch anbrennen, als Dienst nach Vorschrift zu schieben. Die Spannung zur Institution ist immer da, oft nah am Zerreißen, oft produktiv. "Die Menschen brauchen mich und ich brauche die Menschen" - dieser Gedanke ist die Antriebskraft – trotz alledem.
Typ 4: Chrarakteristischer Satz: „Toll, dass der Papst die Diakoninnenweihe nicht verboten hat, das kommt ins Danbarkeitstagebuch“
Typ 4 beherrscht eine Kunst, die ich Hoffnungshypnose nenne. Als vor einem Jahr die ersten Fotos der Synodenaula zu sehen waren, dachte ich: Das sieht ja aus wie im Spielcasino der 1970er Jahre. Wo haben die bloß die Tische und Stühle aufgetrieben? Hat die Spielbank Bad Oeynhausen den Keller ausgeräumt? Die Stühle Modell Champagner stapelbar kann man bei einem Internet-anbieter namens Pokershop.de bestellen. Mein Blog zur Synode hieß deshalb "Casino Royale”. Die hierarchischen Verhältnisse bleiben, das Stufige wird rund gemacht.
Für Typ 4 ist meine Ironie unerträglich. Dieses römische Setting gilt Typ 4 als wunderbares Zeichen dafür, dass man einander zuhören will. Dass an den Tischen Frauen sitzen, gilt als Riesenfortschritt, das kommt ins Dankbarkeitstagebuch. Runde Tische, Wörter wie “Wir”, "Weg", “gemeinsam"und "unterwegs”, aber auch Mahl und Tischgemeinschaft bezaubern Typ 4. Der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke schreibt in seinem Buch “Die Täuschung”: Nur weil der König und der Gärtner gemeinsam gehen, sind sie noch lange nicht gleich. Nur weil man Stimmrecht hat, bestimmt man noch lange nicht mit. Das wissen eigentlich alle, dennoch will Typ 4 etwas Anderes glauben.
Gern zitiert sie oder er den zauberhaften lateinischen Satz "Ecclesia Semper Reformanda", den heiligen Geist und – natürlich – "Hoffnung gegen alles Hoffnung". Selbst wenn, wie jetzt auf der Weltsynode, die Kugel aus dem Frauenroulette genommen wird, bleibt die Hoffnungshypnose unerschüttert. Der Spruch geht so: Es ist schön, dass der Papst Diakoninnen nicht verboten hat, es ist wunderbar, dass der Papst Diakoninnen nicht verboten hat, ich bin tief berüht davon, dass der Papst Diakoninnen nicht verboten hat. Danke, Danke, Danke. Auch das kommt ins Dankbarkeitstagebuch.
Wenn der Weltsynodenschlusstext auf die schlimmsten weiblichen Klischees – etwa Dauerdankbarkeit, Einsamkeitsvertreibubgskompetenz, Leidensfähigkeit, Mütterlichkeit – verzichtet, gilt das als Erfolg der Frauen am Tisch. Diese Variante von Typ 4 nenne ich Hoffnungshypnosehochleister*innen.
Die Zuversicht von Typ 4 richtet sich auf die sogenannten „guten Bischöfe“, die sich – wie gute Bischöfe gern sagen – Frauen am Altar vorstellen können. Frauen! Am Altar! Vorstellen! – Stellt euch das mal vor, jubelt Typ 4! Die guten Bischöfe – so habe ich es auf einer Tagung zum Synodalen Weg gehört – sollen Wind unter die Flügel bekommen. Hoffnungshypnotische Pastoralreferent*innen können also Windmaschinen für episkopale Adler sein.
Typ 5: Charakteristischer Satz: Wir sind alle Kirche, Jesus ist wichtiger als die Bischöfe.
Typ 5 widerspricht offen, organisiert Protestaktionen oder beteiligt sich zumindest daran. Sie oder er lesen viel Kritisch-Theologisches, wussten schon lange vor der neuen Einheitsübersetzung, dass es in der Apostelgeschichte Junia und nicht Junias heißen muss. Sie beklagen seit 40 Jahren, dass theologische und bibelwissenschaftliche Erkenntnisse dieser Art einfach nicht in Rom ankommen. Ob er oder sie ernsthaft glaubt, dass sich mit Argumenten noch etwas verändern lässt, ist schwer zu sagen. Er oder sie braucht das, was er oder sie Amtskirche nennt, als Gegenüber. Protestaktionen sind wichtig, um sich lebendig und mutig zu fühlen. Glauben hat für Typ 5 mit Streiten und Kämpfen zu tun. Bischöfe findet Typ 5 nur bedingt gut. Gleichwohl schreibt Typ 5 Briefe mit Forderungskatalogen an Bischöfe. Wenn Typ 5 Bücher schreibt, bekommt auch der Bischof ein Exemplar.
Wie Sie gemerkt haben, gehöre ich nicht zu den Hoffungshypnotiker*innen. Ich sehe die römisch-katholische Kirche weltweit als Erfolgssystem. Es gibt aus Sicht ihrer Entscheider keinen Grund, etwas zu ändern. Die Lehre liegt voll im Trend, indem sie alles bekämpft, was mit Gleichberechtigung, Gender und liberaler Demokratie zu tun hat. Die deutschen Bischöfe haben in ihrem Papier völkischen Nationalismus abgelehnt, aber nichts zum Thema Geschlechtergerechtigkeit und Gender gesagt, da fiele die Abgrenzung vom Rechtspopulismus deutlich schwerer. Gegen das Weiterwirken des Patriarchats hat die römisch-katholische Kirche nun wirklich nichts einzuwenden.
Was sehr wichtig ist: Dieses System ist nicht wahnsinnig, die Mächtigen sind keineswegs verrückt, sie agieren rational und interessengeleitet. Wer Macht hat, tut, was er kann. Solange, bis jemand mit Macht dem ein Ende setzt. In Demokratien gibt es insitutionelle Vorkehrungen, Checks and Balances, gegen uneingeschränkte Machtausübung. Vom römisch-katholischen System profitieren viele, auch die vermeintlich jovialen und liberalen Kleriker. Diese Machtverhältnisse sind exakt so gewollt.
Das so zu beschreiben, ist nicht resignativ. Es ist eine Entscheidung. Ich brauch da wirklich nicht den mitleidigen Blick von der sorte: "Oje, jetzt hat sie keine Hoffnung mehr". Schönrederei und als Zuversicht verkleidete Nachsicht mit der Brutalität des Machtmissbrauchs ist ein Missbrauch von Hoffnung.
Für mich ist es befreiend, die Interessen von Mächtigen zu analysieren. Mir hat es zu einer inneren Klarheit verholfen, mich von Reform-Illusionen zu verabschieden. Ich kenne zu viele bischöfliche Lügen, um an die Heilsrelevanz dieses Heiligen Standes zu glauben. Meine Mutter sagte kürzlich zu mir: „Wenn du so weitermachst, grüßt mich kein Pastor mehr.“ Auch so ist das System.
Gerade deshalb bleibt es mir wichtig, die Diskriminierung, das Unrecht und die ideologischen Allianzen mit rechtspopulistischen Bewegungen zu benennen. Damit höre ich nicht auf. Ich mache nicht deswegen weiter, weil diese Analysen irgendeinen Entscheider umstimmen oder ihm wenigstens zu denken geben. Ich kann einfach die Bullshit-Sätze über Frauen, über Homosexuelle, über Transpersonen, über Normsetzung und Normverletzung nicht unwidersprochen stehen lassen. Ich will weiterhin den Täter- und Vertuschererzählungen etwas entgegensetzen.
Kommt dieses Denken und Reden auch für Sie infrage? Das ist eine Typfrage.
Das Irgendwie-Weitermachen
Im kirchlichen System ist noch immer eine Menge Geld, ein Teil davon geht an Changement- und Kirchenentwicklungsberater: Da sollen Sie dann Visionen entwickeln, wachsen gegen den Trend, gelassen kleiner werden, mit Humor und Spaß gegen die Skandale anarbeiten, mit Trost und Trauerbegleitung fit werden fürs säkulare Umfeld, mit Mutmachendem und Freude die Geistkraft wirken lassen. Es geht trotz des Changemanagements ums Irgendwie-Weitermachen. Die Bischöfe machen ja auch unverändert weiter.
Ich glaube tatsächlich, dass das noch eine ganze Weile so weitergeht. Bis nur noch der Heilige Rest der Blitzberufenen sich selbst verwaltet, das dauert noch.
Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Sie werden weniger in Ihrer Berufsgruppen und von den wenigen sind viele in sich gespalten. Sie suchen einen Weg aus der inneren Spannung, indem sie das – wie Sie selbst schreiben – flexiblen Tun am Ort von der unflexiblen, beharrenden Institution abspalten. Ich sehe, dass Sie für diese innere Abspaltung kaum einen Ort haben und kaum in der Hierarchie ein Ohr dafür finden. Zuhören ist Zuhörsimulation.
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen wünschen sollte, dass die Nischen weiter offen bleiben. Mein Eindruck ist, dass Bischöfe sich auch nach all den 50-Jahr-Jubiläen nicht für Ihren Berufsstand interessieren: Der Priester ist immer noch das Premium-Objekt der Begierde, wenn um geistliche Berufungen gebetet wird.
Als Pastoralreferent*innen sollen Sie pflegeleicht sein wie eine Polyesterhose der 1970er Jahre. Im November 1974 stand der Song „Kung Fu Fighting“ auf Platz 1 der deutschen Charts, danach löste ihn „Tränen lügen nicht“ von Michael Holm ab. Verschwinden Sie nicht in der Nische. Fighten Sie, heulen Sie, machen Sie sich unüberhörbar.
Danke für Ihre Geduld!
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