Kinder, Kerle, Kirche - 100 Jahre Knef
- Christiane Florin
- vor 15 Stunden
- 15 Min. Lesezeit
Eine Benefizabend für "Leuchtzeichen", die Beratungsstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt
am 8. April, 19.30 Uhr im Kölner Filmhaus
mit Liedern von Hildegard Knef

Fotos: privat

Die Aufnahme wurde mit meinem Handy gemacht, deshalb klingt sie blechbüchsig. Die Musik wird aus rechtlichen Gründen nur angespielt. Wer uns einlädt, bekommt vollständige Titel und satten Sound . Die Begrüßungsworte spricht Maria Mesria.
1. Lied: Ich bin den weiten Weg gegangen
Mein Weg führte von Niederkassel-Mondorf nach Bonn-Oberkassel. Dass ich diese zwölf Kilomoter rheinaufwärts geschafft habe, ist auch diesem Herrn am Klavier zu verdanken, René Breuer, meinem Begleiter durchs Leben. Er kommt aus Bonn-Oberkassel. Ein Aufstieg durch Heirat.
Sie sehen: Ich bin ohne blickdichte Wimpern da, mein Kleid ist nicht von Pierre Balmain. Hildegard Knef trug in der ersten Konzerthälfte ein schwarzes Kleid, in der zweiten ein weißes. Dazu hat es bei mir nicht gereicht. Ich imitiere die Heilige Hilde nicht, ich interpretiere sie, weil ich sie so schätze.
Das Feuilleton des Mondorfer Rhabarberboten nennt mich die "Gréco der Köln-Bonner Bucht, die Knef der rheinischen Tiefebene". Deshalb stehe ich hier.
Auch singend bleibe ich natürlich Journalistin. Immer wenn ich zu dem Tisch da drüben gehe, erzähle ich Ihnen etwas zum historischen Hintergrund der Werke, unterstützt von Maria Mesrian. Sie wollen ja auch was lernen heute Abend.
“Ich bin den weiten Weg gegangen” – ein Chanson von 1975. Die Schauspielerin, Sängerin, Buchautorin ist da etwa 50 Jahre alt, sie hat ja am Ende des Jahres Geburtstag. Ihre Karrieren stehen auf der Kippe. Wir dachten, so eine Krise ist ein guter Anfang für ein solches Programm. Und es passt zu einem Lebenswerk, in dem - wie sie selbst sagt - bedeutende Erfolge und bedeutende Misserfolge einander abwechseln.
1975 erscheint auch ihr zweites Buch: „Das Urteil“. Sie schreibt darin über etwas, was eine anständige Diva bis dahin diskret verzweifelt verschweigt: über ihre Brustkrebserkrankung. "Die" Knef – immer mit Artikel! - bricht ein Tabu. Wieder mal. Und ist wieder mal in den Schlagzeilen. Das mit dem Schlag ist wörtlich zu verstehen. Sie gewährt den Boulevard-Medien tiefe Einblicke in ihr Privatleben, OPs inklusive. Die schlagen gern in frische und in alte Wunden.
Keine Sorge, dieser Abend wird kein Proseminar zur Sittengeschichte der jungen Bundesrepublik unter besonderer Berücksichtigung des Wirkens der Hildegard Frieda Albertine Knef. Wahrscheinlich möchten Sie wissen, wie dieser Titel entstanden ist. Gemeinhin sind westdeutsche Frauen in den 1950er und 60er Jahren für Kinder, Küche, Kirche zuständig. Wir haben diese drei K knefesk abgewandelt in Kinder, Kerle, Kirche. Das Kind habe ich gerade besungen.

Hildegard Knef ist in Deutschland zunächst als Schauspielerin bekannt und umstritten. Ihr Weg hat sie in der Nachkriegszeit nach Hollywood geführt und wieder zurück nach Deutschland, dann wieder nach Hollywood und wieder nach Deutschland. Beim ersten Mal hat sie in den USA nichts zu arbeiten, beim zweiten Mal bekommt sie Rollen, allerdings nicht unbedingt die ihrer Träume. Sie spielt in den schlechtesten Filmen der besten Regisseure, sagt sie später sinngemäß mit der ihr eigenen Selbstironie.
Anfang der 1960er Jahre stagniert die Kinokarriere. Da kommt gerade zu rechten Zeit ein Kerl um die Ecke, ein Baron und von und zu aus fremdem Land. Die Knef wird zu Sängerin. 1962 überrascht sie mit einer Single und zwar mit dieser hier:
2. Lied: Er war nie ein Kavalier
(Audio ab Min. 7. 20)
Als dieses deutschsprache Chanson von ihr erscheint, polarisiert das sofort. Hildegard Knef ist in Ulm geboren, blieb aber dort nur ein halbes Jahr. Sie wuchs in der Berlin auf, hat sich auf diese Stadt in vielen Liedern einen Reim gemacht. Sie ist Berlinerin. Mit dem Rheinland hat sie nichts zu tun. Eine sehr rheinische Frage aber trifft die damalige Debattenlage sehr genau: Darf dat dat? Dat dat dat darf!
Wir sind im Jahr 1962. Bis 1958 brauchen verheiratete Frauen die Erlaubnis des Ehemannes, um berufstätig zu sein. Das gilt auch für singende Ehefrauen. Bis zur Gleichberechtigung im bürgerlichen Recht ist es ein weiter Weg. Als Hildegard Knef den Nicht-Kavalier besingt, steht im Gesetz:
“Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, so weit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.”
Die Knef ist seit 1952 von ihrem ersten Mann, dem Amerikaner Kurt Hirsch, geschieden, vielleicht ist es auch schon der zweite Gatte, wenn man eine Kriegsehe ("Mein erster, der hieß Fritz") mitzählt. Bei Diven kann man da schon mal durcheinander kommen. Mehr dazu in diesem Interview mit ihr aus dem Jahr 1995: https://www.swr.de/swrkultur/wissen/archivradio/hildegard-knef-wird-70-102.html.
Zurück zum Darf dat dat? Darf eine Schauspielerin einfach anfangen zu singen? Ist das überhaupt Gesang? So tief, so rauchig, so lasziv? Darf eine geschiedene Frau der unehelichen Beziehung zu einem halbseidenen Kerl öffentlich Tränen hinterherweinen?
Was in Deutschland damals Knef-Kenner wissen: Sie hat schon vorher erfolgreich gesungen. Unter dem Namen Hildegard Neff stand sie Mitte der 1950 Jahre zwei Jahre lang in New York auf der Bühne, in der Hauptrolle des Musicals "Silk Stockings" von Cole Porter, dem Broadway-Gott.
Aber dieser Nicht-Kavalier hier ist in Deutschland etwas Neues: kein Schlager, kein „Wir wollen niemals auseinandergehen“, kein Liebeslied für den Richtigen und Einzigen und Ewigen. Die Knef singt mondän für den Falschen, für einen, der sie reingelegt hat. Bar statt Traualtar.
Ein Buch wie "Weiberaufstand" verpflichtet, deshalb eine kritisch feministische Anmerkung: Die dahingeseufzte Schlusszeile des Refrains: „Doch dafür war er ein Mann“ ist sehr schlecht gealtert. Feministinnen weinen solchen Kerlen nicht hinterher. Das ist häufiger so bei Hildegard Knef: Die Texte sind nicht sonderlich feministisch, sie besingt nicht unbedingt gleichberechtigte Beziehungen. Das Muster ist eher: Sie heult, er ist weg.
Aber die Frau, die da singt, die traut sich was. Sie ist eigensinnig, sie macht endlich, was sie künstlerisch für richtig hält, was ihrer Begabung entspricht. Das hört man.
Laut der Werbung von Dr. Oetker ist ein weibliches Wesen vor allem Gattin und hat nur zwei Fragen im Leben: Was soll ich anziehen? Was soll ich kochen?
Die Sängerin Hildegard Knef weckt im miefigen Adenauer-Deutschland die Ahnung, dass weibliche Wesen mehr wollen sollen als ein Lob des Gatten für ihren Vanillepudding.
3. Lied: So oder so ist das Leben
(Audio ab Min. 12.20)
Die erste LP, Langspielplatte, erscheint 1963. „So oder So ist das Leben“ heißt sie und versammelt sagenhafte 28 Lieder, "von vorgestern, gestern und heute“, so der Untertitel.
Dieses Lied hier ist von vorgestern, ich erkläre gleich, warum. Es gehört bis heute zum Standardrepertoire aller Diven, weiblich und männlich. Udo Lindenberg zum Beispiel hat es auch aufgenommen. Erstmals veröffentlicht wurde „So oder So ist das Leben“ 1934, in der Nazi-Zeit also.
Komponist Theo Mackeben hatte in der Weimarer Republik die Dreigroschenoper am Berliner Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführt, ein politisch links zu verortendes Werk. In der NS-Zeit lieferte derselbe Künstler zu vielen Propaganda-Filmen die Musik. "So oder so ist das Leben" gehört auch dazu.
Hildegard Knef ist am 28. Dezember 1925 geboren. Sie ist sieben Jahre als, als Hitler an die Macht kommt, ein Kind also. Nach der Schule beginnt sie zunächst eine Ausbildung zur Trickfilm-Zeichnerin bei der Ufa, sie bekommt ein Stipendium. Spaß macht ihr das nicht. Sie träumt vom Film ohne Trick. Dann mit 16 (!) – eine magische Jahreszahl in ihrem Werk, denken Sie an ein bestimmtes Lied - schafft sie es, bei Else Bongers vorzusprechen, einer bekannten Schauspiellehrerin. Hildegard Knef erinnert sich in ihrer Autobiografie “Der Geschenkte Gaul” an diesen Moment, an den Dialog zwischen ihr und Bongers:
“Können Sie etwas vorsprechen?”-”Nein”, flüstere ich. “Wieso wollen Sie Schauspielerin werden?”-”Weil ich begabt bin.” “Woher wissen Sie das?” - “Ich weiß es.”
Weil ich begabt bin. Das wirkt. Sie bekommt kleinere Rollen in Filmen, laut Filmvertrag als „Liebhaberin mit Charaktereinschlag“.
Später geht sie - wie manche sagen - eine nützliche Affäre mit dem Nazi-Filmboss Ewald von Demandowsky ein, dem Chef der Tobis Filmkunst. Sie sagt, sie habe ihn geliebt. Jedenfalls ist es eine Beziehung, die ihr Beziehungen in die Filmbranche bringt.
Im „Geschenkten Gaul“ schreibt sie über ihren Ehrgeiz, ihren Willen, ihre Antriebskraft:
„Ich schmeckte, ahnte, wollte Schönheit. Hasste Verbranntes, hasste den süßlich-fetten Gestank der Verschütteten, nicht Ausgegrabenen, … hasste Hinterhof mit Mülleimerratten, Klosett auf der Treppe, hasste Lebensangst-Todesangst-Fratzen in Kellern, die Bibbermäuler, Faltehändchen, die Womit-haben-wir-das-verdient-Kreischer, die gestern noch das Maul so voll nahmen, die sagten: ,Mir kann keener‘, die auf Frauchen trampelten, weil’s brannte, wie die Decke runterkam und mit ihr 12 bis 14 Wohnungen; hasste die Neidischen, Schadenfrohen, die Rumbrüller, die Gierig-Jovialen, die ,Onkels‘ mit behaarten Pfoten, die dir als Kind untern Rock fassten und sabbertropfend zischen: ,Wehe, du sagst es der Mutter, du hast meine Brille kaputtgemacht, kann sie gar nicht bezahlen mit ihrem Schusterladen‘… Ich hasse, ich hasste, ich hasse. Ich schmeckte, ahnte, wollte Schönheit“.
Einen Verein wie „Umsteuern“, eine Beratung wie "Leuchtzeichen" gab es damals leider noch nicht für die Betroffenen all der Onkels mit den behaarten Pfoten.
Hildegard Knef war keine Nazi-Ideologin, aber sie war ganz gewiss nicht im Widerstand.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielt sie in den Ruinen Berlins aber genau das: eine Nazi-Gegnerin, eine KZ-Heimkehrerin. Der Film von Wolfgang Staudte „Die Mörder sind unter uns“ wird im zerstörten Berlin gedreht.
Eine der ersten Szenen zeigt eine junge, ernste Frau, um den Kopf hat sie einen Schal gewickelt, vom blonden Haar ist wenig zu sehen. Diese Hildegard Knef wird der erste Trümmerfilmstar.
So oder so ist das Leben. Sie laviert sich als junge, ehrgeizige, schönheitswollende Frau durch die Ruinenlandschaft.
Zurück zur Musik: Hildegard Knef singt in den 1960er Jahren nicht nur das Diven-Repertoire von vorgestern. Sie arbeitet mit Komponisten und Textern zusammen, die Lieder für sie maßschneidern. Einer davon ist Charly Niessen. Er hat bekannte Knef-Lieder geschrieben. Er dichtet ihr 1963 nach dem "Kavalier" wieder einen Von und Zu an, nicht aus fremdem Land. Diesmal ist es ein Herr Von Oertzen.

Ein Warnhinweis vorweg: In dem folgenden Lied wird geraucht. Rauchen gefährdet - wie die Liebe - das Herz-Kreislauf-System. Die Knef zündet sich bei ihren Fernsehinterviews eine Zigarette nach der anderen an und das zu einer Zeit, als nur Männer im Internationalen Frühschoppen die Bude vollqualmen dürfen. Insofern gefährdet Rauchen nicht nur die Gesundtheit, weiblicher Rauch gefährdet auch das Patriarchat.
4. Lied: Er hieß nicht von Oertzen
(Audio ab Min. 20)
Eine meiner Lieblingssätze aus dem Knefschen Oeuvre ist: "Nicht mal von der Steuer setzt man so was ab". Ein anderes Lied von ihr heißt: "Er setzt mich von der Steuer ab". Wir kommen später darauf zurück. Sie spielt ganz oben in der Lakonie-Liga, das mag ich ganz besonders.
Der Umgang mit Geld zählt nicht zu ihren großen Begabungen. Das Finanzamt ist für sie nie ein Kavalier. Ihre Platten und Bücher bringen ihr einiges ein. Die Autobiografie „Der geschenkte Gaul“ wird 1970 ein internationaler Bestseller, schafft es sogar in den USA auf den Spitzenplatz. Aber zwischendurch, auf dem weiten Weg, und am Ende ihres Lebens 2002, ist sie finanziell ziemlich klamm.
Dabei hätte sie es eigentlich besser wissen müssen: Einer ihrer größten Hits ist einer Grundrechenart gewidmet, der Addition. Inhaltlich dreht sich alles um die Zahl Zwei, musikalisch dreht sich auch alles und zwar im Dreivierteltakt. Ich weiß, der kölnische Mensch tanzt den Walzer gern im Sitzen. Haken sie sich unter, schunkeln sie mit. Sie hören das Hohe Lied der Liebe und das Hohe Lieder Addition.
(Audio ab Min. 23)
"Der liebe Gott sieht alles", heißt es da. In "So oder so ist das Leben" kam Gott auch vor. Wie hält es Hilde mit der Religion?
Der Beziehungsstatus ist kompliziert. Sie glaubt vor allem an Astrologie. Wichtige Daten – etwa Konzerttourneen oder Hochzeitstermine, davon gibt es einige – legt sie in die Hände ihres Astrologen Caroll Righter. Manchen sagen, der sei an ihrer finanziellen Sitatuion teilweise schuld. Er rechnet aus, wann die Sterne günstig stehen, daran hält sie sich. Bei zwei Ehen ist er ihr Trauzeuge.
Trotz dieser esoterischen Ader sagt sie in den 1990er Jahren in einer WDR-Sendung:
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein wirklicher Künstler ein Atheist sein kann. Ich halte Atheismus eigentlich für Dummheit. Für eine Selbstüberschätzung, dass ich nur lachen kann…. Große Maler und große Dichter haben immer gesagt. Es schreibt, es malt. Wer ist ,es‘. Natürlich Gott.“
Sie scheint im Alter gläubig geworden zu sein.
Die Beziehung zu den Kirchen ist wechselhaft. Hildegard Frieda Albertine wird am 7. Februar 1926 in Ulm evangelisch getauft, eher aus Konvention denn aus Frömmigkeit.
Anfang der 1950er Jahre steht die junge Schauspielerin im Zentrum des bis dahin größten Skandals der bundesrepublikanischen Filmgeschichte. Deshalb passt dieser Abend gut ins Filmhaus. In diesem Skandal haben die Kirchen eine wichtige Rolle, auch das Erzbistum Köln. Hildegard Knef spielt eine Frau, die sich aus Liebe zu einem schwerkranken Maler prostituiert. Er braucht Geld für eine OP, die ihm das Augenlicht retten soll. Der Plan geht nicht auf. Am Ende gehen beide in den Tod.
Der Arbeitstitel ist „Die heilige Sünderin“, daraus wird: „Die Sünderin“. Hildegard Knef ist für wenige Sekunden nackt zu sehen, als sie dem Maler Modell liegt. Kann ja schon mal vorkommen. Die Blöße hat eine dramaturgische Notwendigkeit.
Prostitution, Tötung auf Verlangen, wilde Ehe! Die Kirchen gehen auf die Barrikaden. Zehn Jahre zuvor - in der Nazizeit - waren sie dort nicht. Sie versuchen, den Film zu verhindern. "Weil die Moral es so will", ich habe diese Zeile gerade in dem Lied "Eins und eins" gesungen. Als die Kirchen kein Verbot erreichen, treten die sie aus der Freiwilligen Selbstkontrolle Kino FSK aus.
Der Filmwissenschaftler Jürgen Trimborn hat 2005 eine sehr kritische Knef-Biografie veröffentlicht. Er schreibt zur Auseinandersetzung um die "Sünderin":
„Geistliche stacheln Jugendlichen an, in den Kinos Stinkbomben, Tränengas und Niespulver zu werfen und vor den Kinos Handzettel zu verteilen mit den Aufschriften ,Achtung, Giftmord! Gift für unser Volk. Gift für unsere Jugend‘. .. Es kommt zu Kinoblockaden, Studentendemonstrationen und Protestmärschen kirchlicher Frauenverbände. Kinobetreiber, die die Sünderin zeigen, erhalten Morddrohungen. Die aufkochende Stimmung wird von Kirchenvertretern immer weiter angeheizt. Der Kölner Kardinal Joseph Frings lässt am 4. März 1951 einen scharfen Mahnbrief gegen die Sünderin von allen Kanzeln der Kölner Erzdiözese verlesen und ruft zu einem Boykott des Streifens auf: 'Der Film leistet einer Zersetzung christlicher Begriffe unseres Volks Vorschub.'"

Es ist wie im Paradies: Das Fast-Verbotene lockt das Kinopublikum erst recht. „Die Sünderin“ wird ein großer kommerzieller Erfolg. Hildegard Knef zahlt einen hohen Preis für diese Berühmtheit. Sie wird – heute würde man sagen – Opfer von Hate-Speech, steht im Auge eine Shit-Storms. Oft hat sie die Anekdote erzählt: Wenn sie in ein Lokal kam, sagten Gattinnen zu ihren Männer: "Karl-Heinz, wir gehen!".
Weder Regisseur noch Drehbuchautor gelten 1951 als Sünder. Schuld ist – wie schon im Garten Eden – das nackte Weib.
Hildegard Knef wird später immer wieder zur Sünderin, zur Schuldigen erklärt werden: zur Ehebrecherin, als sie Ende der 1950er Jahre mit einem verheirateten Mann namens David Cameron Hand in Hand bei der Filmpreisverleihung fotografiert wird. Er wird später ihr zweiter oder dritter Ehemann, je nach Zählung. Sie gilt als Sünderin, als sie mit über 40 Mutter wird und kurz nach der Geburt ihrer Tochter Christina die Chanson-Tournee fortsetzt. Sie wird zu Sünderin, als sie Anfang der 1980er ihre Schönheits-Ops öffentlich macht und als einige davon schiefgehen, gilt das manchen als gerechte Strafe.
Um auf die Kirchen zurückzukommen: 1976 wird ihre Ehe mit David Cameron geschieden, sie lernt den 15 Jahre Jüngeren Paul von Schell kennen – einen ungarischen Baron, einen Von und Zu aus fremdem Land sozusagen. Sie will ihn ganz schnell und ganz in Weiß in einer Kirche heiraten. Sie ist evangelisch, er katholisch. Fast wie dereinst bei der "Sünderin" protestieren Geistliche: Eine mehrfach geschiedene Frau solle nicht den kirchlichen Segen bekommen, da werde das Gotteshaus auf eine Filmkulisse reduziert. Es wird nichts mit der Hochzeit in der Barockkirche. Hildegard Knef und Paul von Schell, treten aus den jeweiligen Kirchen aus und heiraten standesamtlich in Berlin.

Was für Moralapostel unverzeihlich ist: Die Knef ist kein Hildchen, kein Schwarzwaldmädel, keine Frau für Heimatfilme und Puddingwerbung. Ihre Träume sind größer als Herd, Haus und Heim. Davon lässt sie sich nicht abbringen. Trotz Anfeindungen, Niederlagen und Pleiten. Sie ist geplagt von Lampenfieber und Selbstzweifeln, sie steht vieles durch, glaubt an sich selbst, an ihr Können und ihre Begabung. Sie wird zum personifizierten Trotzdem, zur Kämpferin, die sich nicht unterkriegen lässt, vor allem nicht in ihrer künstlerischen Entwicklung.
Die ersten großen Chanson-Erfolge, von denen ich gerade einige gesungen habe, haben Männer getextet. Hildegard Knef beginnt auch da einen neuen Weg. Sie dichtet ihre Lieder selbst. Die Sünderin lässt sich nichts mehr vorschreiben.
Jetzt singe ich zwei Lieder mit Knef-Texten.
(Audio ab Min. 32)
7. Lied: Jene irritierte Auster
(Audio ab Min. 33.40)
Ein Lied von 1972. Man merkt, dass ich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeite. Ein Fernsehproduzent ohne Abitur, der auf Spesen aß – das ist eine der Knef-Figuren, die ich ganz besonders liebe. Eleganter kann man das Finanzamt nicht zum Thema machen. Und Travemünde auch nicht.
Wo Sie gerade sagen: Austern, Essen, Kochen. Einer ihrer Ex-Männer, David Cameron, sagte 2009 laut Bild-Zeitung: „Hilde konnte nicht mal ein Ei kochen! Sie war immer unzufrieden, wollte immer noch mehr erreichen. Sie war aufbrausend und jähzornig.“
Wir lernen aus dem Munde eines berufenen Mannes: Eierkochenkönnen macht friedfertig.
Hildegard Knef hat manchmal das Kochen selbst dichterisch bewältigt. Im Lied "Gestern hab ich noch nachgedacht" singt sie:
„Gestern hab ich noch nachgedacht, was du am liebsten isst, ob Linsen und Speck, Gulasch und Reis. Dann gab es plötzlich kein Morgen.“
Was möchte uns die Dichterin damit sagen? Trotz intensiven Kopfzerbrechens über das männliche leibliche Wohl verlässt sie der Gatte für eine andere, über deren Gulaschgewohnheiten nichts bekannt ist. Die Strophen werden immer düsterer, hören Sie es sich an.
Auf youtube und auch in dem wunderbaren, neuen Dokumentarfilm von Luzia Schmidt "Ich will alles" viele Interviews sehen. Ich habe gerade von irritierten Austern gesungen, man sieht in den Interviews viele irritierte Männer. Die sich für intellektuell haltenden Journalisten können oft nicht fassen, dass eine Schauspielerin singt, obwohl sie keine im herkömmlichen Sinne schöne Stimme hat. Sie könne nicht fassen, dass sie eigene Texte schreibt, dass sie blond ist, aber nicht blöd. Henry Nannen, der "Stern"-Gründer, bewundert Hildegard Knef sehr, attestiert ihr „intellektuellen Sex“. Sie sei der Beweis dafür, dass Frauen das Bett auch zum Lesen nutzen könnten, soll er gesagt haben.
Männliche Komplimente für die Knef sind oft vergiftet. Das Maximum ist Gönnerhaftigkeit: Schlau ist so schon, aber wir sind schlauer.
Die Interviewer sorgen sich auch darum, ob das gut ist, wenn eine Frau so wenig hausfraulich ist. Als Hildegard Knef 1968 Mutter wird, fragen die Herren bang, ob sie sich auch ums Kind kümmert.
Sie pariert derart übergriffene Fragen souverän. In "A Woman and a half", einem Dokumentarfilm von 2001, ist ein Interviewer zu hören, der wissen will, ob sie sich schuldig fühle gegenüber der Tochter. Nach dem Motto: Fürs Kind wäre es besser gewesen, wenn die Mutter Hausfrau in Ulm geworden wäre.
Sie antwortet zunächst wieder souverän:
„Was heißt Schuld? Du hast die Begabung, du bist berühmt. Das ist keine Schuld“.
Als der Interviewer behauptet, sie sei keine gute Mutter gewesen, da wird sie wütend:
„Ich war eine sehr gute Mutter. Das verbitte ich mir. Jetzt werde ich bös, aggressiv. Ich war keine gute Mutter? Oh, Donnerwetter. Meine Tochter ist der Höhepunkt meines Lebens. Dann kommt lange nichts. “ (A Woman and a Half, ab Minute 26)
1980 zeigt sie sich in der Samstagabend-Show von Joachim Fuchsberger „Auf Los geht’s los“ zum ersten Mal mit dem neuen, schönheitsoperierten Gesicht. Wieder so ein Tabubruch. Fuchsberger präsentiert sie wie eine Sensation in der Manege, wie einen Zirkusgaul. Die Knef nimmt auch diese Unverschämtheit mit Contenance und mit Klugheit. Sie sagt:
„Man verlangt von einer Frau in diesem Beruf Zeitlosigkeit. Damit man überhaupt zuhört und nicht immer sagt: Wie sieht die denn aus? Unser Gesicht ist das Firmenschild und wenn das Schild zu viel Patina hat, ist es nicht ganz leserlich.“
Wenn man ihren Liedern zuhört, erschließt sich, wie viel ihr als öffentliche Frau - sie hat die Öffentlichkeit natürlich als Künstlerin gesucht - der Blick in den Spiegel bedeutet. Ich wollte Schönheit, hat sie in ihrer Autobiografie geschrieben, wir haben es vorhin gehört. Die Schönheit lässt sich so schwer fassen, so schwer festhalten wie das Glück. "17 Millimeter fehlten mir zu meinem Glück", heißt eines ihrer Lieder zu ihrem Lebensthema, dem Knapp-Daneben. Ich singe das andere Glücks-Lied, für mich eines ihrer schönsten, wieder von ihr getextet.
(Audio ab Min. 41)
"Du siehst in den Spiegel, verlässt ihn nervös...", heißt es da. Anders als die andere deutsche Diva Marlene Dietrich entzieht sich Hildegard Knef im Alter nicht den Blicken der Öffentlichkeit. Ein zurückgezogenes Leben hinter Gardinen - das sei keine Öffentlichkeit wert, sagt sie.
In den 1990er Jahren hat sie ein Comeback. Da ist man auf einmal stolz auf sie, auf den Weltstar, auf die Berlinerin, die es am Broadway geschafft hat. Sie wird als Gesamtkunstwerk geehrt, vor allem wird die Sängerin wiederentdeckt, auch die emanzipierte Künstlerin, die ihrer Zeit weit voraus war. Die Band "Etrabreit" lässt noch einmal Roten Roten auf sie regnen. Für ihre letzte Platte „17 Millimeter“ arbeitet sie mit dem Jazz-Trompeter Till Brönner zusammen.
Wir haben für den Schluss dieser kleinen Programms eine jazzige Nummer herausgesucht, die sie in den 1970er Jahren aufgenommen hat. Das Original "One for my Baby" hat Frank Sinatra gesungen.
Hildegard Knef hatte im Leben nicht immer das Gefühl fürs richtige Timing, aber in ihren Liedern - da hat sie es. Nur ganz wenige können deutsche Texte so lässig auf diese Melodien verteilen wie sie.

Es gibt nicht „die Knef" im Singular, dafür ist sie zu vielschichtig. Aber es gibt nur wenige Künsterlinnen, denen Verehrerinnen wie Gegner*innen den bestimmten Artikel voranstellen. Die Knef, die Einzigartige.
Im letzten Song des Abends finden Sie ihre großen Themen: Mal wieder geht es um die Liebe, mal wieder geht es um einen Kerl, der sie sitzengelassen hat. Mal wieder geht sie einen weiten Weg. Mal wieder qualmt eine Zigarette. Und noch eine.
Und: Es ist das coolste Lied, das je über einen Bewirtungsbeleg gesungen wurde.
9. Lied: Noch einen Drink auf die Liebe
(Audio ab Min. 43.50)
Zugabe:
10. Lied: Für mich soll's rote Rosen regnen
Sie werden dieses eine Lied vermisst haben, vielleicht schon, als ich von der magischen Jahreszahl 16 gesprochen habe.
Hildegard Knef hat als Sängerin in einem musikalische bewegten Jahrzent großen Erfolg. Die Sechziger, das ist die Zeit der Beatles, der Stones, die Zeit von Bob Dylan, von Woodstock. Politisch bricht vieles auf. Die meistverkaufte Single in Deutschland ist trotz allem, wofür "1968" steht, in diesem legendären Jahr „Mama“ von Heintje.
Ich bin 1968 geboren, in meinem Poesiealbum stand Mitte der 70er noch:
„Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein und nicht wie die stolze Rose, die nur bewundert will sein.“
Jetzt sehen Sie den politischen Hintergrund dieses Liedes. In dieser Zeit fordert Hildegard Knef eine Großlieferung dieser stolzen Pflanze - und dann auch noch ganz für sich allein. Wir wissen seit Simone de Beauvoirs Klassiker "Das andere Geschlecht": Frauen dürfen sich nichts nehmen, sie dürfen nur annehmen. Weil die Moral es so will.
Auf "Still" reimt Hildegard Knef: "Ich will". Ein "größenwahnsinniges Lied" hat sie es selbst genannt. Sie habe den Komponisten darum gebeten, den Größenwahn durch Melodie und Takt etwas zu mildern. Es ist - wie Eins und Eins - ein Walzer geworden.

Aber der Dreivierteltakt bremst nichts ab, der lässt die Rosen noch intensiver regnen.
Die Mamas in der Küche drehen 1967 das Radio lauter, die Frolleins – wie man damals noch sagt - in den Büros summen die Melodie, sprechen den Text. Ich will alles oder nichts.
Diese roten Rosen sind der Stachel im Patriarchat – bis heute.
Quellen:
Hildegard Knef: Der geschenkte Gaul. Berichte aus meinem Leben. Molden 1970.
Hildegard Knef: Das Urteil. Oder Der Gegenmensch. Molden 1975.
Hildegard Knef: Nichts geht verloren. Mit einem Vorwort von Paul von Schell. Earbooks 2008.
Paul von Schell: Hilde. Meine Liebeserklärung an Hildegard Knef. Henschel 2003.
Christian Schröder: Hildegard Knef. Mir sollten sämtliche Wunder begegnen. Aufbau-Verlag 2004.
Jürgen Trimborn: Hildegard Knef. Das Glück kennt nur Minuten. DVA 2005.
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