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AutorenbildChristiane Florin

Der Anfang vom Anstand


Bei jeder Lesung, bei jeder Diskussion zum "Weiberaufstand" kommt dieser Moment: Eine im Publikum greift zum Mikrofon und fragt: Und was machen wir jetzt? Sollen weibliche Ehrenamtliche für einen Tag streiken? Sollen sie bei der nächsten Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz mit Transparenten aufmarschieren? Ist es vielleicht schon zu spät? Die Fragen sind naheliegend, ich schiebe sie gern weit weg. Mein Ehe-Buch ist kein Ehe-Ratgeber, der "Weiberaufstand" keine Aufstands-Anleitung. Aber viele im Publikum erwarten genau das: Katholisch rebellieren in 10 Schritten.

Aufstand, sage ich dann, ist eine Mischung aus Aufklärung und Verstand. Die Wirklichkeit verändert sich schon dadurch, dass man ihre realsatirischen Anteile beschreibt: ein Kardinal, der im Spitzenkleid die "Verweiblichung" beklagt; ein Papst, der Frauen mit Erdbeeren auf der Torte vergleicht; eines von -zig Arbeitsgruppentreffen zum Thema "Frauen und Amt", von dessen Tagungsordnung Weiheämter ausgenommen sind, weil diese Debatte "nicht hilfreich" sei. Das alles ist so katholisch wie komisch.

Ein karnevalistisches Dogma lautet: Die Träne, die de laachst musst de net kriesche, die Tränen, die du lachst, muss du nicht weinen." Gelacht wird viel bei den Lesungen, geweint manchmal auch. Vor ein paar Tagen schrieb eine Leserin: "Ihr Buch hat ganz tief etwas in mir angerührt! Seit mehr als 30 Jahren bin ich als hauptamtlich pastorale Mitarbeiterin im Kirchendienst. Meine Seele ist voller Narben und Wunden, die durch die frommen Herren der Kirche geschlagen wurden. Und die ich mir manchmal auch schlagen ließ, weil ich die biblische Weisung nicht richtig verstand. Vieles konnte ich bislang nicht in Worten ausdrücken, warum mich dies oder jenes so tief getroffen und verletzt hat. Nun haben Sie genau die richtigen Worte gefunden, die das beschreiben und ausdrücken, worunter ich drei Jahrzehnte gelitten habe. Danke dafür! Ich kann wirklich jedes Wort unterschreiben und es ist, als ob Sie für mich geschrieben hätten. Ja, "dann hat sie was eigenes", wie Loriot sagen lässt! Oder gar nichts, weil nicht sein kann, was nicht sein darf!"

Eine Zuhörerin erzählte aus dem Jahr 1999: Damals hatte die katholische Frauengemeinschaft die Zulassung von Frauen zu allen Ämtern und Diensten gefordert. "Katholisch" dürfe sich der Verband aber nicht mehr nennen, konterte die Deutsche Bischofskonferenz. Die kfd verzichete nach dieser Drohung auf den Satz, im Papier blieb eine Lücke. Eine Mitarbeiterin eines Generalvikariats erzählt von den Momenten, in denen die Tür vor ihrer Nase zugeht und die geweihten Männer lieber unter sich bleiben. Eine Theologinnen erinnert sich, dass man ihr geraten habe, sich vor dem Nihil Obstat bloß nicht mit der Frauenfrage zu befassen. Mittlerweile haben es die "Helferin Phoebe" und die Apostelin Junia in die Einheitsübersetzung der Bibel gebracht. Paulus adressierte seine Briefe nicht nur an die Korinther, sondern auch an die Korintherinnen. Stillschweigend wurden Erkenntnisse übernommen, die früher das Ende der Theologen-Karriere bedeutet hätten. Was die Versehrten und Geprellten mindestens so schmerzt wie die Kombination aus Arroganz und Ignoranz, ist die Tatsache, dass niemand für dieses Verhalten die Verantwortung übernimmt. "Lassen Sie uns nach vorne schauen, ist doch toll, dass wir jetzt so offen darüber reden können".

"Bitte", "danke" und "Ich bitte um Entschuldigung" seien die drei wichtigsten Worte in der Familie, pflegt Franziskus zu sagen. Für den katholischen Klerus-Clan gilt das nicht. Auf die Wunden und Narben, von denen in der Kirche engagierte Frauen erzählen, werden Kräutlein nach Rezepten der Hildegard von Bingen geschmiert. Mädels, nicht jammern, kümmert euch um die Mystik, das ist euer Charisma. Von einer Bitte um Vergebung aus dem Munde von Päpsten und anderen Pastören berichten meine Zuhörerinnen nichts. Das aber wäre der Anfang vom Anstand.

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